Amerikas Mittlerer Westen, eine Landstraße im Spätsommer 1969. 400 Meter liegen zwischen Start und Ziel, dazwischen ein Bahnübergang. Ein letzter Moment der Ruhe, das Läuten der Signale, das Vorbeipoltern der Güterwaggons. Die Stimme des Radiosprechers in Steves Charger kündigt schnarrend den brandneuen Song einer Band namens The Stooges an. Suzie gibt Steve einen letzten Kuss auf die Wange durch das geöffnete Seitenfenster. Der schwarze Pontiac GTO sei unschlagbar, haben sich die Halbstarken der Gegend seit Wochen zugeraunt, doch Steve ist siegessicher. Schließlich wollen er und Suzie weg von hier, raus aus Kansas, an die Westküste, wo gerade das Leben tobt. Die Schranken öffnen sich, die Warnleuchten erlöschen, Feuer frei!
Dodge Charger
Der Dodge Charger kam – bis auf seine gefakten Luftschlitze im Türblech – ganz ohne modischen Design-Ulk aus.
Bild: A. Lier
Die Hinterräder radieren schwarze Streifen auf die Landstraße, als wollten sie den Asphaltteppich aufrollen. Infernalisch übertönt der 426er-Hemi-V8 mit seinen halbkugelförmigen Brennkammern den Krach des sich entfernenden Zuges. Vierteilmeilenrennen gewonnen, 14 Sekunden später sind Steve und Suzie ihrem Traum 150 Dollar näher gekommen. 44 Jahre danach ist es ein sehr langer Weg um einen 1969er Dodge Charger herum. Vierzehneinhalb Meter, um genau zu sein. Aha, so was nannten die Amis also Super Car, damals in den späten Sechzigern. Irre. Tatsächlich wirkt er aus der Zeit gefallen, der ungekrönte König der Viertelmeile – heute, da Hybrid, zinsfreie Ratenzahlung und Parkpiepser als sexy gelten, 7,2 Liter Benzinverbrauch gerade noch als akzeptabel und 7,2 Liter Hubraum im besten Falle als obszön. Unsere Fotos entstanden im Süden Kaliforniens. 9000 Kilometer Luftlinie von dort, auf Hamburgs Elbchaussee, fühlt sich der amerikanische Vollgas-Traum seltsam anders an. Mit dem Wendekreis der USS "Enterprise" und der Spurtreue von Kräuterbutter auf einem frisch gegrillten T-Bone-Steak ist ein Dodge Charger das Gegenteil dessen, was sich Mitteleuropäer unter einem Sportwagen vorstellen. Heute noch.

Fürs Galopp-Derby: Dodge Challenger R/T

Dodge Charger
Vielleicht war der Charger sogar das schönste US-Coupé des Jahrzehnts.
Bild: A. Lier
Das war schon zu Lebzeiten des Chargers so: In der Alten Welt reichte damals ein kleiner NSU Prinz mit scharfer Nockenwelle zum Sportfahrerglück, während sich Amerikas Kids in PS-starken Muscle Cars um Kopf und Kragen fuhren. Was blieb, sind Klischees im Stile von "Dinosaurier" oder auch "Dampfhammer", immer aber "Spritschlucker". Dabei war der Dodge Charger bei seinem Debüt 1966 viel, viel mehr – vielleicht sogar das schönste US-Coupé des Jahrzehnts. Mit seiner schnörkellosen Karosserie ohne B-Säule und diesem ultrascharfen Rücken. Und dem diesem Grill im Look eines Elektrorasierers, hinter dem sich die Scheinwerfer am Tage versteckten. Zwei Jahre später erreichte das große Leistungswettrüsten der "Big Three" Chrysler, Ford und General Motors seinen Höhepunkt. Dodge mischte mit ihren R/T-Modellen ("Road and Track") eifrig mit. Deren 425 SAE-PS starker Hemi-Motor mit seinen 426 Cubic Inches (das sind satte sieben Liter!) galt zu dieser Zeit als Maßstab. Chrysler verbaute dieses Power-Paket nur bei Dodge und Plymouth. Unterhalb des Hemis rangierte der 440er-Motor mit konventionellen Zylindern, Vierfachvergaser und 375 SAE-PS. Darüber, dass der Krawallbruder Charger, wenn überhaupt, nur gegen Aufpreis Scheibenbremsen mitbrachte, trösteten lustige Farbbezeichnungen im Prospekt hinweg: "Go Mango", "Plum Crazy" oder "Top Banana". Lacke mit Kaugummi-Namen, die Dodge zum Sommer 1968 auf eine komplett überarbeitete Charger-Karosserie auftrug, deren Seitenlinie jetzt den lässigen Colaflaschen-Schwung drauf hatte.

Tage des Donners: Muscle Cars

Dodge Charger
Vinylleder-Couchsesseln dominieren das Charger-Cockpit.
Bild: A. Lier
Nie wieder verkaufte sich der Charger so gut wie 1968 – über 96.000-mal. 1969, als Woodstock und die Mondlandung den Menschen neue Horizonte aufzeigten, sah Dodges NASCAR–Version namens Daytona tatsächlich so aus, als wollte sie in andere Galaxien vorstoßen: überirdisch der unfassbare Heckspoiler, und dann noch diese Apollo-11-Schnauze. Bemerkenswert: Vor allem Leinwand-Fieslinge liebten den Charger heiß und innig. Denken wir an Steve McQueens Gegenspieler in "Bullitt", den irren Larry oder Serienkiller Stuntman Mike in Tarantinos "Death Proof". Es ist nicht zuletzt sein Böse-Buben-Image, das den Dodge Charger so unfassbar cool macht. 1971 stopfte Dodge zum letzten Mal einen Hemi unter eine Charger-Haube, dann beendeten die erste Ölkrise und horrende Versicherungsprämien den Muscle-Car-Krieg. Die Karriere des Charger ähnelte der vieler Rockstars: Er lebte schnell und starb jung, weswegen seine Fans es nie ertragen mussten, ihn in Unwürde altern zu sehen. Wahrscheinlich ist auch das Teil seines Mythos. Und was ist aus Steve, Suzie und ihrem Charger geworden? Sie schafften es tatsächlich bis nach Kalifornien. Ihren Fluchtwagen, den Charger R/T, verkauften sie im Frühjahr 1970 an einen Gebrauchtwagenhändler in San Francisco. Noch heute steht ein gerahmtes Foto des Renners auf dem Wohnzimmerschrank.

Technische Daten

Dodge Charger
Der 383-cui-Motor (6,3 Liter) bildete mit 330 PS die goldene Mitte zwischen den schlappen Basismotoren, den gummischmelzenden Hemis und den 440ern.
Bild: A. Lier
Dodge Charger 383 cui Motor: V8, vorn längs • zentrale Nockenwelle, Antrieb über Stößelstangen, zwei Ventile pro Zylinder, ein Carter-Vierfach- Fallstromvergaser • Hubraum 6286 ccm • Bohrung/Hub 108 x 85,9 mm • Leistung 330 PS bei 5000/min • maximales Drehmoment (SAE) 576 Nm bei 3200/min • Antrieb/Fahrwerk: TorqueFlite-Dreistufenautomatik • Hinterradantrieb • vorn Einzelradaufhängung an Querlenkern mit Drehstabfedern, hinten Starrachse an Blattfedern • Trommelbremsen rundum • Reifen 7.75 x 15 • Maße: Radstand 2970 mm • L/B/H 5250/1950/1410 mm • Leergewicht 1625 kg • Fahrleistungen/ Verbrauch: 0–100 km/h in 7,3 s • Spitze circa 198 km/h • Verbrauch circa 25 l Super pro 100 km • Tank 72 Liter • Neupreis: 2800 Dollar (1969).

Historie

Anfang der sechziger Jahre scheint es, als säßen bei den großen US-Herstellern ausschließlich Daddys in ihren Büros, die Autos für all die anderen Daddys im Land entwickeln – bis Pontiac 1964 den GTO in die Showrooms rollt, Amerikas erstes Muscle Car. Gegen den schickt Dodge im Jahr 1966 den Charger ins Rennen, ein Fastback-Coupé mit Such-uns-Scheinwerfern, das sich Chryslers B-Plattform mit dem Mittelklasse-Modell Coronet teilt. Es gibt drei Achtzylinder, die ihre Kraft wahlweise an ein Viergang-Schaltgetriebe oder eine Dreistufenautomatik weitergeben. Wenig später gibt’s auch den Siebenliter-Hemi-Motor aus der NASCAR-Rennserie im Charger, der von da an so ziemlich jeden Ampelgegner das Fürchten lehrt. Ab 1967 steht der R/T ("Road and Track", "Straße und Rennstrecke") im Händlerprospekt. Zum Modelljahr 1968 verpasst Dodge seinem Charger eine verschärfte Form, die zwei darauffolgenden Jahre sind die erfolgreichsten in der Geschichte des Modells. Im Apollo-Jahr 1969 entstehen 500 Charger Daytona mit XXL-Heckspoiler und einem cW-Wert von 0,28 als Homologationsfahrzeuge für die NASCAR-Serie. Danach sinken die Verkaufszahlen, bis 1974 endgültig Schluss ist.

Plus/Minus

Dodge Charger
Ein 383er hat den sexy Body und genügend Kraft, kommt ohne das prestigeträchtige und teure R/T-Schildchen aus.
Bild: A. Lier
Bevor Sie sich den Traum vom Ami-Sportwagen erfüllen, sollten Sie sich einmal hinters Steuer eines solchen geklemmt haben. Denn was die Karosserieform verspricht, können Fahrwerk und Bremsen nur bedingt halten. Sicher: Es kann und darf nachgebessert werden. Wer der Roadmovie-Romantik eines Full-Size Muscle Car trotz aller Klischees erliegt, kann sich an der Wartungsfreundlichkeit und dem stoischen Gleichmut erfreuen, mit dem so ein V8 seine amerikanischen Wildpferde bei Niedrigdrehzahl an die Zahnräder der TorqueFlite-Dreistufenautomatik treibt. Viele von ihnen bleiben da, grasen – und erreichen nie die Hinterräder. Überprüfen Sie anhand der Fahrgestellnummer unbedingt, ob Motor und Getriebe tatsächlich in Ihr zukünftiges Auto gehören (Stichwort: "matching numbers"). Rost und Spachtel sind an den üblichen Stellen immer ein Thema, genauso wie Pfusch-Restaurierungen, vor allem bei frisch importierten Autos.

Ersatzteile

Spezialisten wie der US Speed Shop in Hamburg haben Verschleißteile für Motor und Fahrwerk auf Lager, der Mopar Shop in Olfen liefert zu bezahlbaren Preisen sogar Nachfertigungen von Außenspiegeln (170 Euro), Kofferraumdichtungen (57 Euro) oder ein komplettes Vinyldach (224 Euro). Schwierig wird’s bei Karosserieteilen. Hier sind Charger-Besitzer auf Schlachter oder teure Nachfertigungen aus den USA angewiesen. Ähnlich sieht es aus, wenn die Inneneinrichtung nicht mehr frisch ist – hierauf ist beim Kauf also besonders zu achten.

Marktlage

Von den begehrenswerten Charger-Jahrgängen 1968 und 1969 rollten bei Dodge 165.000 Stück vom Band, nur zwölf Prozent davon allerdings mit dem Sockenqualmer-Gütesiegel R/T. Von denen wiederum hatten nur 475 Stück den legendären Hemi-V8 unter der Haube. In den restlichen brüllte der ebenso böse 7,2-Liter-Magnum-V8. So einer kostet bei uns schon als mehr oder minder verhunztes Bastelprojekt rund 25.000 Euro. Schwächere Charger fluten seit Jahren den deutschen Markt, das drückt die Preise.

Empfehlung

Ein 383er wie unser Fotoauto, denn der hat den sexy Body und genügend Kraft, kommt aber ohne das prestigeträchtige und teure R/T-Schildchen aus. Wer eine ruhige Hand behält und nicht dem ersten Blender verfällt, sollte ein gutes Original für weniger als 40.000 Euro ergattern können.

Von

Lukas Hambrecht