Kennen Sie Tychy? So heißt eine graue, schmucklose Stadt in Ostpolen, die vom italienischen Dolce Vita etwa so weit entfernt liegt wie Krakauer Würstchen von schmackhaften Frutti di mare. Doch Tychy kocht seit Jahren die allerbeste Kost im ganzen Fiat-Konzern. Tychy ist lebendige Imagepolitur für die Italiener. Und aus Tychy stammt auch der Dieselmotor des Grande Punto 1.3 MJT 16V, der gerade hier nach 100.994 Kilometern zerlegt worden ist. Warum also machen die Fiat-Leute so ein gespanntes Gesicht? Vielleicht deswegen: Das Ergebnis ist erschütternd. Freilich nur für die ewigen Nörgler, die in den vergangenen 28 Monaten nicht mit Kritik an dem kleinen Diesel mit dem großen Turboloch gespart hatten. Die bekommen jetzt mal so richtig Nachhilfeunterricht in Sachen neuer Fiat-Qualität.

Sensationell: Motor nach 100.000 km im Neuzustand

Fiat Grande Punto 1.3 MJT 16V
Auf Touren: Unter 2000 Umdrehungen tut sich nicht viel beim 1,3-Liter-Diesel. Er braucht Drehzahl, wenn man zügig fahren möchte.
Der 1,3-Liter-Motor sieht nach dem Marathon so frisch aus, als sei er gerade erst vom Band gelaufen. Nahezu alle Bauteile von Motor und Getriebe liegen innerhalb der Einbautoleranz, in den Zylindern sind sogar noch die Honspuren zu sehen. Ein blitzsauberes Ergebnis. Dabei musste dieser zähe Hund von Motor nicht nur eine Fehlbetankung inklusive anschließender 60-Kilometer-Fahrt mit hochoktanigem Supersprit verkraften, er wurde im Dauertestbetrieb auch sonst hart rangenommen. Selbst schuld, möchte man hinzufügen. Denn die krasse Anfahrschwäche zwang die Redakteure schon beim Losfahren zu hohen Drehzahlen und schleifender Kupplung. Unter 2000 Touren brachte der aufgeblasene 1300er nicht viel mehr als ein asthmatisches Röcheln zustande. Wer an einer Kreuzung nicht Gefahr laufen wollte, mit abgewürgtem Motor abgeschossen zu werden, gab lieber stets mehr Gas als üblich.

Unwillig und zäh: der 1,3-Liter-Diesel mit Turboloch

Auch direkt nach dem verschleißintensiven Kaltstart, denn bei Minustemperaturen hing der müde Selbstzünder besonders unwillig am Gas. Für halbwegs zügiges Tempo musste die 90-PS-Träne zudem durch ständiges Schalten zwischen den Gängen vier, fünf und sechs förmlich ausgepresst werden. Das wiederum rächte sich an der Tankstelle: Im Schnitt flossen über den gesamten Dauertest 6,61 Liter Diesel durch die Common-Rail-Leitungen – zu viel für so einen kleinen Diesel. Kein Wunder also, dass sich die Kritik am Grande Punto vor allem auf die unharmonische Leistungsentfaltung konzentrierte. Auszug aus dem Fahrtenbuch: "Motor steht unter Dauerbetäubung." Fotograf Sven Krieger attestierte dem Grande Punto das "Temperament einer Wanderdüne". Auch Wolfgang Blaube fragte sich, "wo Fiat die 90 PS versteckt hat". Reporter Alex Cohrs glaubte gar, "dass der Begriff Anfahrschwäche für dieses Auto erst erfunden wurde".

Viel Platz im kleinen Fiat

Im Stadtverkehr, dem eigentlichen Kleinwagenrevier, ließ der Punto also die meisten Federn. Erst nach und nach, insbesondere auf langen Reisen mit gleichmäßigem Tempo, eroberte sich der Italiener Sympathien. Schickes Design, geringe Windgeräusche, sicheres Fahrverhalten. Passt alles. Lob gab es auch für die großen Außenspiegel und vor allem für das Platzangebot. Innen- und Kofferraum des 4,03-Meter-Fiat sind spürbar luftiger als bei vielen Klassenkameraden. Nichts kneift oder zwickt. Selbst unser Zwei-Meter-Lulatsch Stefan Mallach fühlte sich bei seiner 7000-Kilometer-Tour durch Europa "komfortabel untergebracht". Andere jedoch klagten über Rückenschmerzen und fehlenden Seitenhalt. Allen konnte es der Italiener ohnehin nicht recht machen. Verteilten die einen Lob für das "sportlich-knackige Fahrwerk", tadelten die anderen die zu harte und unkomfortable Federung – die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.

Komplette Ausstattung inklusive ESP, sechs Airbags und Zweizonen-Klima

Fiat Grande Punto 1.3 MJT 16V
Das Cockpit des Grande Punto überrascht mit guter Qualität. Freundliche Farben, griffiges Lenkrad, knisterfreie Verarbeitung.
Einigkeit herrschte jedoch in der Kritik an der nervösen, unpräzisen Lenkung, den langen Schaltwegen und dem zu kleinen Handschuhfach. Außerdem finden sich im Fahrtenbuch immer wieder Beschwerden über die schwache Heizleistung, den kaum spürbaren Druckpunkt der Hupe und die schlechte Übersichtlichkeit beim Blick schräg nach vorn durch die kleinen Dreieckfenster. Doch im Vergleich zum Motor kommt der Rest des Punto eher gut weg. Nicht zuletzt wegen der umfangreichen Serienausstattung. Bei der getesteten Version "Emotion" sind nicht nur ESP, sechs Airbags, Aluräder, Zentralverriegelung und elektrische Fensterheber serienmäßig an Bord, sondern auch Extras, die eigentlich erst eine Klasse höher erwartet werden. Etwa die elektrische Lordosenstütze für den Fahrersitz und eine Zweizonen-Klimaanlage.

Klapperfreie Verarbeitung bis zum Schluss

Fiat Grande Punto 1.3 MJT 16V
Überzeugend: das großzügige Raumangebot im Grande Punto. Straffe Sitze, leider wenig Seitenhalt.
Damit relativiert sich der hohe Preis, der zu Beginn des Dauerlaufs im Februar 2007 immerhin 19.985 Euro betrug. Für den Gegenwert eines Golf liefert Fiat anständige Materialien, wertige Oberflächen – und eine klapperfreie Verarbeitung bis zum Schluss. Das wiederholen wir gern noch einmal: klapperfrei bis zum Schluss. Der Grande Punto ist ein solide konstruierter Kleinwagen, der alle zuverlässig wieder nach Hause brachte. Es gab nicht eine Panne und nur einen Werkstattbesuch außer der Reihe. Und trotzdem keinen vorderen Platz in der Zuverlässigkeits-Rangliste. Denn der Südländer leistete sich ein paar, nennen wir es ruhig so, lockere Umgangsformen.

Nur ein außerplanmäßiger Werkstattbesuch

Fiat Grande Punto 1.3 MJT 16V
Außer Betrieb: Sitzheizung und elektrische Lordosenstütze. Ursache: eine defekte Sicherung.
Nach 11.265 Kilometern gab es erst Startprobleme, dann fiel die Servolenkung aus. Neustart. Alles okay, so als sei nichts gewesen. Doch 1300 Kilometer später streikt die Servounterstützung erneut und zwingt zum erwähnten Werkstattbesuch. Ursache: ein Wackelkontakt, weil eine Befestigungsmutter der Lichtmaschinen-Plusleitung fehlt – Schlamperei ab Werk. Spitzenplatz futsch. Kurz darauf fehlte Leistung, ein Marder hatte den Turboschlauch zernagt. Kein Problem, der war schnell ersetzt. Ebenso hier und da mal eine Glühlampe oder der nicht mehr schließende Deckel des Handschuhfachs.

Fiat hat die Qualität erheblich verbessert

Fiat Grande Punto 1.3 MJT 16V
Kurz vor Ende des Dauertests waren die beiden vorderen Federbeindomlager fällig.
Bei der 60.000er-Inspektion wurde ein Heizungskabel isoliert (Rückruf) und ein neues Türschloss eingebaut, außerdem gab es ein Software-Update für die Motorsteuerung. Kurz vor Ende des Kilometermarathons waren dann die Federbeindomlager und die beiden hinteren Türgriffe fällig. Alles kleinere Mängel, die am positiven Gesamtbild nur Kratzer hinterlassen. Dennoch sollten sich die Fiat-Monteure im italienischen Melfi, wo der polnische Motor in den Grande Punto eingebaut wird, ein Beispiel an den Kollegen aus Tychy nehmen. Fiat meint es offensichtlich ernst, wenn sie heute über Qualität reden. Nach dem Panda schneidet auch der Grande Punto im Dauertest besser ab als viele namhafte Konkurrenten. Ein zäher Prozess, dessen Saat jetzt aufgeht.

Top: die Haltbarkeit des Motors

Beginnen wir die Analyse mit einem Kompliment: Fiat-Motoren machen kaum noch Probleme. Die Haltbarkeit ist Spitze. Ausnahmen sind mittlerweile selten. Schon vor sechs Jahren legte der Punto 1.2, also der direkte Vorgänger unseres jetzigen Dauertest-Punto, ein blitzsauberes Ergebnis hin. Nach 100.000 Kilometern bescheinigten wir dem 60-PS-Benziner: "Messergebnisse im Toleranzbereich von Neuteilen". Und genau so lautet auch heute das Fazit unseres DEKRA-Sachverständigen Günther Schiele. Seine Einschätzung nach der akribischen Untersuchung aller Bauteile: "Einer der besten Motoren, die ich je unter der Messuhr gehabt habe." Und das bei einem Motor, dessen Leistungscharakteristik den schweren Gasfuß seiner Fahrer geradezu herausgefordert hat. Sogar eine Fehlbetankung und die anschließende, zum Glück nur kurze Strecke mit dem Diesel-Super-Gemisch hat der Fiat klaglos verkraftet. Die anschließende gründliche Spülung aller Teile mit Kraftstoff-Kontakt im Fiat-Centro Hamburg war offensichtlich wirkungsvoll.

Bilanz am Dauertestende: Nur Kleinigkeiten trüben das positive Bild

Auch den übrigen Komponenten des Grande Punto ist die Strapaze des 100.000-Kilometer-Marathons kaum anzumerken. Besonders eindrucksvoll: In der Kabine knistert und knackt nichts. Trotz intensiven Lauschens auf den letzten Kilometern konnten die Ohren erfahrener Tester lediglich einen kleinen Poltergeist im Heck aufspüren. Wahrscheinlich stammen die Störgeräusche vom Kunststoffeinsatz in der Reserveradmulde, der nur mit einer Schraube befestigt ist. Ähnlich positiv endet die routinemäßige Untersuchung der Karosseriehohlräume. Bis auf minimalen Rostansatz an Scharnierbefestigungspunkten in den vorderen Türen ist alles blitzblank und gut konserviert. Bleibt noch das Getriebe. Räderwerk und Kupplung zeigen keinerlei Anzeichen von Ermüdung. Lediglich die Synchronisierung des dritten Gangs ist etwas abgerundet. Kein Problem, damit hätte der Fiat noch lange weiterfahren können. Am Ende finden wir jedoch noch zwei Kleinigkeiten, die das gute Ergebnis minimal trüben. Eine defekte Sicherung hat die Sitzheizung am Fahrersitz sowie die elektrische Lordosenstütze lahmgelegt. Und eindringende Feuchtigkeit hat die Kontakte der rechten Schlussleuchte kräftig angenagt. So trüben letztlich Kleinigkeiten das Untersuchungsergebnis genauso wie die Gesamtbilanz des Grande Punto.

Hersteller-Reaktionen: Das sagt Fiat ...

... zur Anfahrschwäche: Mit zwei Updates des Motorsteuergeräts wurde die Kraftentfaltung des Motors verbessert. Auf Wunsch der Kunden wird dieses Update beim zuständigen Servicepartner durchgeführt.
... zur Rückrufaktion: Bei der Aktion mit der Nummer 5299 geht es um die möglicherweise fehlerhafte Verlegung eines Kabels der Heizung. Betroffene Kunden wurden informiert.
... zu den sperrigen Türgriffen: Hier wurde im Rahmen der Modellpflege eine Verbesserung eingeführt.

Das sagen die Leser

"14 Probleme auf 60.000 km": Mein Auto sieht ziemlich geil aus und fährt sich verdammt gut. Aber zahlreiche Werkstattbesuche verderben mir die Freude an meinem Auto. Lose Schrauben, feuchte Lampen, abgelöste Zierleisten, defektes Radio. So ein Fiat macht keinen Spaß. René B., 66953 Pirmasens, Fiat Grande Punto Sport.
"Kann den Grande Punto uneingeschränkt empfehlen": Bisher musste auf 45.000 Kilometer nur ein defektes Rücklicht getauscht werden. Ansonsten gab es keinen einzigen ungeplanten Werkstattaufenthalt. Der Motor ist zwar nicht der durchzugsstärkste, dafür verbraucht er im Schnitt nur fünf Liter. Björn Lukowsky, per E-Mail, Fiat Grande Punto 1.3 Multijet.
"Mein Grande Punto ist nervenschonend und sparsam": Mit meinem Grande Punto legte ich seit Januar 2007 gut 48.000 Kilometer zurück, und er läuft absolut zuverlässig. Aufgrund der Anfahrschwäche sind Ampelrennen natürlich nicht zu gewinnen. Wozu auch? Peter Klose, 38126 Braunschweig, Fiat Grande Punto 1.3 Multijet.

Fazit

von

Uli Holzwarth
So sehr wir früher mit Fiat gemeckert haben, so laut sagen wir heute: Sie haben gelernt. Die Italiener bauen solide Autos, wie der Grande Punto im Dauertest mit überzeugender Zuverlässigkeit beweist. Im Nachhinein tut es uns fast leid, dass wir so auf den kleinen 1,3-Liter-Diesel mit dem Riesen-Turboloch eingedroschen haben – die Standfestigkeit des in Polen gefertigten Motors ist einfach sensationell. Wenn die Fiat-Schrauber im italienischen Melfi genauso sorgfältig gearbeitet hätten, wäre der Grande Punto sogar weiter vorn in der Zuverlässigkeits-Rangliste gelandet. Dennoch hat sich der Fiat bis zum Schluss so gut geschlagen, dass es Zeit wird, alte Vorbehalte über Bord zu werfen.

Von

Uli Holzwarth
Manfred Klangwald