Kopfschüttelquote: 100 Prozent

Die Kopfschüttelquote liegt heute bei 100 Prozent. Der örtliche Peugeot-Händler zum Beispiel. Hat einen 407 in der Halle und einen 1007 auf dem Poster an der Wand, aber ob er noch jemanden kennt, der einen alten Simca fährt, nein, da schüttelt der Mann den Kopf. Oder der größte Schrotthändler am Platz. Hat alte Golf, Passat, Renault, Citroën bei sich auf Halde und alle Hände voll zu tun, aber einen Simca auf dem Hof, non, ausgeschlossen. "Sieht man gar nicht mehr", sagt einer der Arbeiter. Und schüttelt den Kopf.

Und dann noch der vorbeikommende Passant. Trägt tatsächlich ein Baguette unterm Arm, wie man sich das bei Franzosen so vorstellt, und erzählt, daß die meisten alten Autos in Frankreich verschwunden sind, als dort am 1. Januar 1992 die technische Überwachung eingeführt wurde. Pardon, monsieur. Der Mann schüttelt den Kopf.

Es ist echt nicht wahr: Da reist man extra nach Poissy, eine 36.000 Einwohner große Industriestadt westlich von Paris und (neben Nanterre) die Heimat von Simca. Aber dort ein fahrendes Exemplar der einst so stolzen Marke zu sehen, das ist dermaßen unwahrscheinlich, da hätte man genausogut nach Pirmasens fahren können. Das ist die Partnerstadt von Poissy.

Halt, nicht gleich aufgeben. Es gibt da einen Ort in Poissy, an dem wird die Erinnerung an die "Société Industrielle de Mecanique et Carosserie Automobile" (kurz Simca) noch hochgehalten. Er befindet sich direkt am Eingang des ehemaligen Simca-Werkes, in dem heute unter anderem der Peugeot 1007 hergestellt wird. Hier, in einem modern wirkenden Wellblechwürfel, befindet sich der Sitz der Caapy.

Fronttrieb, Quermotor, riesige Heckklappe

Ich weiß, es droht jetzt unübersichtlich zu werden mit den Begriffen. Caapy heißt "Collection de l'Aventure Automobile à Poissy" (Internet: www.caapy. net) und ist eine Vereinigung ehemaliger und aktiver Werksangehöriger von Poissy. Sie sammeln alles, was dort an Autos hergestellt wurde und noch heute hergestellt wird, und besonders widmen sie sich der Marke Simca. Sie sind die treuen Seelen von Poissy.

"Die Vereinigung wurde 1984 gegründet und hat inzwischen 106 Mitglieder", erzählt Michel Bernard (62). Der gelernte Elektriker fing 1968 bei Simca in der Entwicklungsabteilung an und ist heute bei der Caapy für Ausstellungen und Besucherverkehr verantwortlich. 70 Autos kann er zeigen, für die restlichen 30 ist kein Platz mehr.

Aber auch so ist ein Rundgang beeindruckend. Sie haben zum Beispiel den Ford 472A da, den ersten Pkw, der in Poissy hergestellt wurde (von 1946 bis 1948). Oder den Simca 5, die französische Kopie des Fiat 500. Und natürlich den Simca 1100, den 1967 erschienenen und damals wegweisenden Fronttriebler (der erste von Simca) mit Quermotor vorn und riesiger Heckklappe hinten. Durch das Umklappen der Rückbank konnte man schon damals eine komplett ebene Ladefläche schaffen – an dieser Aufgabe scheitert noch heute der ein oder andere Autohersteller.

Mit den Amis wurde alles besser

Hierzulande verkaufte sich der Simca 1100 von 1967 bis 1982 stolze 212.403mal. In "Deutschlands Top 200", der ewigen Bestenliste von AUTO BILD, macht das Platz 97 – "das weltweit meistverkaufte Modell und das wichtigste von Simca überhaupt", sagt Michel Bernard.

Als der Wagen entwickelt wurde, war Chrysler schon mit 15 Prozent an dem Unternehmen beteiligt (1971 folgte die vollständige Übernahme), und das hat der Qualität gutgetan – sagen zumindest die ehemaligen Arbeiter. Bernard: "Die Amerikaner haben hier die Arbeitsabläufe verbessert und uns insgesamt nach vorn gebracht. Die Belegschaft hatte mit ihnen keine Probleme – nur die Chefs sind damals alle gegangen." Für die Konzeption des 1100 zog man zudem Peugeot-Ingenieure hinzu.

Es hat sich ausgezahlt: Beim Erscheinen des 1100 lobten Tester allerorts den großen Innen- und Kofferraum, den tollen Fahrkomfort und den erstaunlich elastischen 1,1-Liter-Motor. Sie bemängelten aber auch die schwabbelige Schaltung, die zu kurzen Sitze und das Design der Innenausstattung: "Über allem ein leichter Hauch von Puderzucker, doch kam gottlob der Musikbox-Geschmack nicht voll zur Entfaltung", moserte ein Kritiker in der "Zeit" mit Seitenhieb auf den amerikanischen Einfluß bei Simca. Daß das größte Problem des französischen Kompaktwagens später mal der Rost werden sollte, das ahnten die Tester nicht. Bernard: "Fast alle Autos sind weggerostet."

Technische Daten Simca 1100 GLS

Bei der Caapy haben sie extra eine eigene Werkstatt eingerichtet, damit das nicht auch noch mit den letzten verbliebenen Exemplaren passiert. Hier schrauben die zumeist älteren Herren an den Ausstellungsstücken – und an ihren privaten Schätzchen. Monsieur Georges Bergeron (68) zum Beispiel restauriert gerade ein Talbot-Lago-Cabrio von 1939.

Nur eine Sorge haben die treuen Seelen von Poissy: Ihnen fehlt es an Nachwuchs. "Wir brauchen Leute, die sich mit Motoren auskennen, und Leute, die an der Karosserie arbeiten können", sagt Michel Bernhard. Damit man in Poissy auch in Zukunft noch auf guterhaltene Simca stößt. Und nicht immer nur auf Kopfschütteln ...

Technische Daten Simca 1100 GLS Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, wassergekühlt, vorn quer eingebaut • seitliche Nockenwelle • ein Fallstromvergaser • Hubraum 1118 cm³ • Leistung 44 kW (60 PS) bei 6000/min • Frontantrieb • Viergang-Schaltung • Einzelradaufhängung vorn und hinten • vorn Scheibenbremsen, hinten Trommelbremsen • Tankinhalt 42 Liter • Länge/Breite/Höhe 3944/1588/1458 mm • Leergewicht 930 kg • Höchstgeschwindigkeit 146 km/h

Von

Alex Cohrs