600 Kilometer Reichweite – und aus dem Auspuff kommt nur Wasserdampf. Wir legen uns fest: Die Zukunft gehört Autos wie dem Hyundai Nexo. Ein Test.
Machen wir es kurz: Es gibt nur 44 Tankstellen in Deutschland, bei denen Sie Kraftstoff für dieses Auto kaufen können. Und es ist teuer! Dieses Hyundai-SUV mit Wasserstoffantrieb kostet mindestens 69.900 Euro. Damit hätten wir es dann aber auch schon mit der Kritik. Und können darüber schreiben, warum dieses Auto so einzigartig ist. Warum es die Zukunft ist. Und warum wir es mögen.
Hyundai verzichtet auf große optische Effekthascherei
Form follows function: Der Nexo gibt sich von außen nicht als Hochtechnologieträger zu erkennen.
Einzigartig, werden Sie sich fragen? Es gibt doch den Toyota Mirai und den Honda Clarity, die auch mit Wasserstoff angetrieben werden. Stimmt, aber beide spielen optisch in einer anderen Liga. Bewusst skurril gezeichnet, fallen sie zwar im Straßenbild sofort auf – fallen bei vielen aber durch den Geschmackstest. Anders der Hyundai. Gefällig gezeichnet, wenn auch betont aerodynamisch, könnte er auch von einem klassischen Verbrenner angetrieben werden. Wobei er in Details cool geraten ist: Die Tagfahr-LEDs vorne sind durch ein Leuchtenband verbunden, die Türgriffe fahren bei Schrittgeschwindigkeit ähnlich wie bei einem Tesla in die Karosserie, die Außenspiegel sind im Prinzip überflüssig, weil der Blick nach hinten beim Blinken in den Tacho gespiegelt wird. Und das feine Gesicht mit dem typischen Hyundai-Grill steht einem Audi in nichts nach.
Bei den Fahrleistungen muss man kaum Abstriche machen
Zügig: Mit 184 PS Systemleistung und satten 395 Nm Drehmoment geht es im Nexo gut voran.
Was auch für die Qualitäten des Nexo gilt. Die Koreaner haben ein sehr gutes Auto auf die Räder gestellt. Das beginnt schon bei der Gestaltung des Cockpits. Mit hellem Kunstleder bezogene Sitze, weiche Kunststoffe, Metall-Applikationen – der Nexo wirkt innen noch teurer, als er tatsächlich ist. Ein Respektabstand zu den deutschen Premium-Marken? Kaum noch zu spüren. Im Gegenteil, das Armaturenbrett mit dem breiten Monitor für Tacho und Navi ist so lässig wie in einem Mercedes, die Mittelkonsole mit den vielen Tasten wirkt wie in einem Porsche. Ist aber leider auch ähnlich unübersichtlich. Das Starten des Autos gerät sogar zum Event. Den Startknopf gedrückt, und schon fährt die Brennstoffzelle lautlos hoch. Einzig ein kurzes Piepen verrät, dass es losgehen kann. Und ähnlich wie bei einem herkömmlichen E-Auto geht es richtig los. 184 PS Systemleistung drücken die Passagiere spürbar in die Sitze. Deutlicher sogar, als der Messwert von 8,8 Sekunden für den Sprint aus dem Stand auf 100 km/h vermuten lässt.
Dazu kommt das hohe Drehmoment von 395 Newtonmetern, das bei jeder Drehzahl anliegt. Zwischensprints machen trotz des hohen Leergewichts von fast 1,9 Tonnen so richtig Gaudi. Selbst auf der Autobahn ist der Hyundai ruck, zuck auf jeder gewünschten Geschwindigkeit – zumindest, wenn sie unterhalb von 179 Kilometern in der Stunde liegt. Da ist der Nexo nämlich elektronisch abgeregelt.
Die Reichweite ermöglicht auch längere Touren ohne Sorgen
Fast alltagstauglich: Das dünne Tankstellennetz ist schon das größte Problem des Nexo.
Wenn Sie sich jetzt fragen, warum wir noch so gar nicht über Wasserstoff und den exotischen Antrieb geredet haben – ganz einfach. Tatsächlich ist der Nexo derart alltagstauglich, dass es kaum einen Unterschied zum herkömmlichen Verbrenner gibt. Mal eben von Hamburg nach Berlin fahren? Geht ganz selbstverständlich. Sogar bei höheren Geschwindigkeiten auf der Autobahn sinkt die Reichweite kaum. Von reell 525 verfügbaren Kilometern blieben nach der 300 Kilometer langen Testfahrt noch 140 übrig. Wie ein Tesla mit 120 km/h auf der rechten Spur rumschleichen, um lange Reichweiten auch auf der Straße zu erreichen? Mit dem Hyundai einfach kein Thema. Und auch das Tanken ist kein Problem – zumindest, wenn eine Tankstelle in der Nähe ist. In Berlin gibt es drei davon. Die auf 300 Kilometern verfahrenen 3,59 Kilogramm Wasserstoff waren in – handgestoppten – 3:42 Minuten im unter 700 Bar Druck stehenden Carbontank im Wagenboden. Die Kosten: 34,11 Euro. Billiger als ein Diesel fährt der Nexo so jedenfalls nicht.
Der Nexo lässt andere Technologien sehr alt aussehen
Beruhigend: Beim Nexo fährt stets ein gutes Gewissen mit, das Abgas ist reiner Wasserdampf.
Dafür, und jetzt werden wir philosophisch, fährt auf jedem Meter das gute Gewissen mit. Andere Autos wirken plötzlich irritierend gestrig. Das laute Motorengeräusch der anderen stört, Abgaswolken alter Lkw nerven noch viel mehr als sonst. Du fühlst dich hinterm Steuer einfach gut – vielleicht die größte Errungenschaft des Hyundai in Zeiten von Dieselkrise und drohenden Fahrverboten. Und du verstehst, warum alle europäischen Hersteller voller Neid auf dieses Auto gucken. Die Koreaner hatten den Mut, es einfach zu bauen. Die Technologie liegt dort wie hier in der Schublade. Aber statt wegen der fehlenden Infrastruktur zu zaudern, hat Hyundai die Brennstoffzelle einfach gebaut. Zu einem hohen Preis. Denn der Verkaufspreis deckt, glaubt man Insidern, nicht einmal annähernd die tatsächlichen Kosten. Es ist davon zu hören, dass Hyundai bei jedem Nexo 150.000 Euro drauflegt. Auch deswegen kooperieren die Koreaner nun mit Audi. Das Ziel: den Preis der Brennstoffzelle auf 25 Prozent des aktuellen Wertes zu drücken.
Auch Fahrkomfort und Platzangebot sind überzeugend
Einladend: Im ansprechend gestalteten Nexo-Innenraum gibt es viel Platz für Passagiere und Gepäck.
Dem Fahrer eines Nexo kann das egal sein, er sitzt im Hier und Jetzt in einem tollen Auto. In einem, das mit seinem hohen Fahrkomfort überzeugt. Das auch in klassischen Disziplinen gefällt, mit direkter Lenkung und agilem Fahrverhalten. Das Platz für fünf Passagiere und knapp 500 Liter Gepäck bietet. Und das auf der Autobahn fast von alleine fährt. Geschwindigkeit eingestellt – und schon bremst/beschleunigt der Hyundai von allein. Und hält auch in engen und schnell gefahrenen Autobahnkurven die Spur. Auch wenn die ständigen Kurskorrekturen von Kollege Computer zunächst für Irritation sorgen. Ähnlich hoch ist der Stand bei den autonomen Systemen sonst nur bei der Mercedes E-Klasse. Ist das also die Zukunft? Wenn die Kosten sinken und die Infrastruktur wächst, sind wir uns sicher: Ja! Um es ganz kurz zu machen.
Fazit
von
Stefan Voswinkel
Selten hat uns ein Testwagen so bewegt wie dieser Hyundai! Der Nexo ist cool – und trotz Mattlack nie peinlich. Er gibt dem Fahrer das gute Gefühl, dass a) so die Zukunft aussehen kann, und diese b) keinen Verzicht bedeutet. Zu einem zugegeben recht hohen Preis. Zumindest derzeit noch.