Lange galt der Besitz eines Jaguars als risikoreiches Vergnügen – zu häufig kränkelte die Katze. Inzwischen soll sich viel gebessert haben. Wie zuverlässig ein Jaguar wirklich ist, haben wir mit dem XF über 100.000 Kilometer getestet.
Jaguar? Im Dauertest? Bei AUTO BILD? Ja, warum denn nicht? Schließlich gibt es viele gute Gründe, dem Engländer auf den Zahn zu fühlen. Seine Funktion als Nonkonformistenauto zum Beispiel. Sie können sich eine Limousine der oberen Mittelklasse leisten (laut Zulassungszahlen sind Sie damit in Deutschland einer von vielen)? Möchten aber auf gar keinen Fall einen Wagen, der an jeder Ecke steht – also nicht Audi A6/5er-BMW/Mercedes E-Klasse? Dann spricht vieles für einen XF, den mit der springenden Katze auf dem Heckdeckel. Was umgehend zum Dauertestgrund Nummer zwei führt: Historisch gesehen ist der Besitz eines Jaguar ja nicht nur ein exklusives, sondern zugleich ein risikoreiches Vergnügen. Die Dinger kränkelten häufig und hinterließen gern Pfützen auf dem Boden. So auch der letzte Dauertest-Jaguar, ein S-Type von 2002. Der Hersteller, sowie diverse Statistiken versprechen indessen Besserung, bis hin zur heilen Jaguar-Welt. Dürfen wir das wirklich glauben? Die Antwort, sie schreit nach einem Dauertest.18 Monate und 100.000 Kilometer im harten Redaktionseinsatz, das geht an die Substanz, das halten nur die Besten klaglos aus. Unser Kandidat, dunkelgrau, edel, in der Fast-all-inclusive-Version namens Premium Luxury kostete zum Starttermin 69.550 Euro – sehr stolz, aber immer noch weniger, als die deutsche Oberklasse-Konkurrenz für ein vergleichbar ausgestattetes Produkt verlangt. Und unter seinem Powerdome (so heißt der Blechberg auf der Haube) steckt der Top-Turbodiesel mit 275 PS. Motto: Wennschon, dennschon. Erster Eindruck: schön schlicht und schnörkellos die Form, coupéschlank. Wir haben ihn noch ohne das Facelift vom Sommer 2011, aber das ändert nicht viel. Innen kühle Eleganz, erfrischend im Vergleich zum üblichen Schwulst. Da sind wir, die Redaktion, uns einig.
Wennschon, dennschon: Unter der Motorhaube unseres Testwagens steckt der Top-Turbodiesel mit 275 PS.
Der Automatikwählknopf, der beim Start aus der Mittelkonsole wächst, ist ein Gag, witzig und stört nicht. Wenige geräumige Ablagen, aber entspannte Position auf dem bequemen Fahrersitz, dessen Komfort, wie sich zeigt, auch auf Langstrecken anhält und bis zum Dauertestende nicht nachlässt. Hinten reist es sich nicht so angenehm, auch weil der Platz knapp ausfällt. Schon bald tauchen freilich jene Kommentare im Fahrtenbuch auf, wie sie den XF über den Dauertest begleiten: "Steif, stößig, unharmonisch", "ruppige Federung", "gefühllose Lenkung" waren die Dauerbrenner im Kritikerchor. Und es stimmt ja: Die Geschmeidigkeit, früher markentypisch, fehlt der XF-Federung komplett. Bei Stadttempo stelzt das Auto hölzern über die Unebenheiten, selbst auf der Autobahn verteilt es ständig kleine Stöße. Keine Frage: BMW 5er und Mercedes E-Klasse bieten hier deutlich mehr Komfort.
Die Eigenheiten der Lenkung sind hingegen auch Geschmacksache: Sie arbeitet sehr leichtgängig mit viel Servounterstützung und spricht in der Mittellage spontan an – eine Kombination, die Gewöhnung erfordert. Wer sich darauf einlässt, kann Straßenbiegungen aber mit geringem Lenkaufwand und – bei Bedarf – sehr schnell bewältigen. Überhaupt gehören Agilität und Handlichkeit zu den Vorzügen, die das Fahren im Jaguar prägen und einem ans Herz wachsen. Keineswegs zierlicher als die Konkurrenz, fühlt er sich unterwegs schon fast eine Nummer kleiner an. Nur beim Parken nicht, denn die Übersicht nach hinten ist (dem Fließheck geschuldet) miserabel. Lob hagelt es unterdessen auf Langstrecken: "Ein ganz wunderbarer Reisewagen", "toller Motor", "klasse Automatik", so der Tenor der redaktionellen Benutzer, was zugleich beweist, dass die Federungsschwächen den positiven Gesamteindruck nicht nachhaltig trüben.
Erfrischend kühl: Innen gefällt der Jaguar mit modernem Luxus und ansprechender Verarbeitung.
Stattdessen dominieren andere Faktoren: der stabile Geradeauslauf, die gepflegte, angenehm ruhige Geräuschkulisse mit geringen Windgeräuschen, aber vor allem die Vorzüge des Antriebs. Diesel im Jaguar, ein Sakrileg? Verfechter dieser Doktrin dürfte der Biturbo-V6 das letzte Lüftchen aus den Segeln nehmen. Denn diese Botschaft hinterließ der Dauertest-XF ganz ohne Zweifel: Souveräne Kraftreserven gepaart mit erstklassiger Laufkultur und einer optimal abgestimmten Sechsstufenautomatik – da schnurrt die Katze, und der Mensch freut sich. Zumal sogar der Durchschnittsverbrauch mit neun Litern auf 100 Kilometer (über die Gesamtdistanz) in Anbetracht der meist sehr zügigen Fahrweise die Mundwinkel nach oben treibt. Weniger angenehm der bescheidene Aktionsradius: 69 Liter Tankvolumen sind für einen Langstreckenbomber, der auf eiligen Autobahnetappen auch schon mal zehn Liter auf 100 Kilometer verköstigt, zu wenig.Was fehlt uns? Das Vertrauen in die Bremsen, um ehrlich zu sein. Nein, nicht in ihre Wirkung, die den Fahrleistungen gewachsen war, auch wenn die Bremswege bei der Schlussmessung deutlich zunahmen: Daran waren die geringen Außentemperaturen schuld. Beunruhigend vielmehr der drastische Verschleiß der Scheiben, die schon nach kurzer Laufzeit markante Riefen aufwiesen. Verschmutzungsbedingt, aber unbedenklich, behauptet Jaguar. Eher auf Schwingungen am Bremssattel hinweisend, vermuten wir. Dazu passt: Rubbelnde Bremsen wurden mehrfach beanstandet. Ärger Nummer zwei: der Touchscreen, der per Berührung gesteuerte Bildschirm also, mitsamt Navigation. Schlecht ablesbar mit verwirrender, zum Teil unleserlicher Grafik, immer verschmiert, oft zu langsam und stark ablenkend, entpuppt sich die Jaguar-Lösung im Alltag sehr schnell als das schlechteste aller Bediensysteme. Trost: Beim Facelift gab es Verbesserungen. Kein Trost: Es bleibt leider beim Touchscreen.
Und sonst? Nichts, schon gar nichts, was die Legende vom ewig kaputten Jaguar bestätigen könnte. Keine Liegenbleiber, keine Klappereien, kein Elektromalheur à la Joseph Lucas, Erfinder der Intervallschaltung (geht – geht nicht). Kein nennenswerter Ölverbrauch und kaum Verschleiß an der Ausstattung. Entsprechend wehmütig der letzte Eintrag ins Fahrtenbuch bei Kilometer 99.000: "Bitte zerlegt mich nicht!" Es tut uns leid, aber diesen Gefallen konnten wir unserem Kätzchen nicht gewähren.Alle Bilder zum Dauertest mit dem Jaguar XF finden Sie oben in der Bildergalerie. Den vollständigen Artikel mit allen Daten und Tabellen gibt's im Online-Artikelarchiv.
Fazit
von
Wolfgang König
Die Vergangenheit lastet schwer auf Jaguar. Folglich musste auch der XF anfangs Häme aushalten – Motto: Warum nicht gleich zwei, dann fährt wenigstens einer. Aber nach 100.000 Kilometern hat er sie alle überrascht: keine besonderen Vorkommnisse, (fast) alles bestens, Glückwunsch.
Jaguar XF im Dauertest
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Alles klar oder volles Risiko: Wie zuverlässig ist ein Jaguar wirklich? AUTO BILD hatte einen Jaguar XF über 18 Monate und 100.000 Kilometer im Einsatz.
Bild: Roman Raetzke
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Dunkelgrau, edel und in der "Premium Luxury"-Version kostete der Jaguar zum Start unseres Tests 69.550 Euro. Sehr stolz, aber immer noch weniger, als die deutsche Oberklasse-Konkurrenz für ein vergleichbar ausgestattetes Produkt verlangt.
Bild: Martin Puthz / AUTO BILD
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Der Jaguar auf einem Abstecher in die englische Heimat. "Ein ganz wunderbarer Reisewagen", urteilten die Testfahrer trotz "ruppiger Federung". Der stabile Geradeauslauf, die angenehm ruhige Geräuschkulisse und vor allem die Vorzüge des Antriebs ließen über diese Schwäche hinwegsehen.
Bild: Toni Bader
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Innen gefällt der Jaguar durch modernen Luxus. Überzeugend auch die Verarbeitung, die nach 100.000 Kilometern kaum Verschleiß aufwies. Ein Ärgernis ist allerdings ...
Bild: Toni Bader
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... der Touchscreen mitsamt Navigation: Schlecht ablesbar, langsam und mit nervtötender Bedienlogik. Bei der Modellpflege vom Sommer 2011 gab es Verbesserungen. Beim Touchscreen bleibt es aber.
Bild: Uli Sonntag
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Ein Austausch der Bremsscheiben und -beläge war die einzige Reparatur, die während des Dauertests fällig wurde. Das allerdings gleich dreimal. Auffällig war die starke Riefenbildung auf den Scheiben – möglicherweise durch Verschmutzung hervorgerufen.
Bild: Manfred Klangwald
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Eine fehlerhaft montierte Ablassschraube verursachte leichten Ölverlust – ein Serviceproblem.
Bild: DEKRA
8/9
Der XF nach der Demontage zur abschließenden Untersuchung: kein Rost, wenig Verschleiß, lautet das Ergebnis. Der V6-Diesel zeigt nur geringste Abnutzungserscheinungen. Und auch die Elektrik bereitete keine Probleme.
Bild: Uli Sonntag
9/9
Fazit: Die Vergangenheit lastete schwer auf Jaguar. Doch der XF hat uns alle überrascht: auf den gesamten 100.000 Kilometern keine besonderen Vorkommnisse. Die Katze ist gesund!