Der Heckmotor ist zurück: Im neuen Renault Twingo lebt der Geist des alten Käfers. Auch sein seltsames Eigenleben? Eine Rundfahrt soll es klären.
Das ESP im Kopf ausschalten, los geht der Unsinn. In der Kurve voll aufs Gas, dann scharf einlenken. Nichts passiert. Ich wedel auf nassem Kopfsteinpflaster wie ein betrunkener Fahranfänger. Wieder nichts. Reiße am Lenkrad – irgendwann muss der Twingo doch verärgert zurückschlagen, wenigstens ein bisschen auskeilen. Immerhin steckt in dem kleinen Franzosen eine Technik, die lange für ihr unberechenbares Eigenleben berüchtigt war: der Heckantrieb – traktionsstark, aber tückisch.
Sicherheitssysteme Fehlanzeige: Dem VW Käfer sind Dinge wie ESP fremd – hier entscheidet der Fahrer.
Das Ende der Heckschleudern kam bei Kleinwagen mit dem letzten Käfer, der "Última Edición", die AUTO BILD 2003 als rollendes und straßenzugelassenes Museumsstück gekauft hat. Ein Oldie, aktueller Kilometerstand 34.300, den wir alle lieben und deshalb nur unter Jammern und Protest zum Heckschleuder-Showdown freigeben konnten. Käfer drift Twingo! Wer hatte bloß diese – echt hinterhältige – Idee? Dass der VW den Nasskreis auf dem Contidrom nicht mag, sieht man ihm bis in den letzten Blechfalz an. Er stammt aus einer Zeit, da waren die Kotflügel noch prall und die Frontscheibe platt wie die Heide. Heute ist es andersherum. Der Twingo ist ein Kind der neuen Kleinwagenzeit. Glatt, niedlich, leider etwas beliebig im Vergleich zum ersten Twingo. Der war 1993 ein echtes Schätzchen, trotzdem hat Renault das Design umgekrempelt: Aus dem knuddeligen Frauenliebling (flach und breit) wurde ein aufrechter Schuhkarton (hoch und schmal).
Auch der neue Clio hat seine Niedlichkeit behalten
Irgendwie süß: Auch die jüngste Generation des Twingo hat wieder die typischen Kulleraugen.
Er guckt süß aus den Kulleraugen, am liebsten würde man ihm die Wimpern aufkleben, die den Ur-Twingo so vermenschlicht haben. Beim Renault-Händler spielt er sicher bald den Charmebolzen. Dass der Motor hinten liegt, ist nicht zu sehen. Nur zu fühlen, wenn der Einkaufskorb im Kofferraum mal wieder kochend heiß wird. Direkt unterm Boden sitzt der Dreizylinder, der alle Vorurteile widerlegt und dem Twingo ordentlich Feuer macht. So flott können 71 PS sein, wenn sie an schlanken 984 Kilo zerren? Oder liegt's am sensationell kleinen Wendekreis? Jedenfalls geht der Floh in der Stadt richtig ins Blut, auf der Autobahn sind sogar standhafte 151 km/h drin. Mit seiner Wuseligkeit fühlt der Twingo sich an, als hätten die Entwickler bei Renault und Mercedes den Smart konsequent weitergedacht. Auch wenn sie's heftig dementieren, steckt im deutsch-französischen Coprodukt viel fortwo. Nur dass es jetzt mehr Hubraum gibt, endlich eine vernünftige Handschaltung und hinten zwei zusätzliche Türen – fertig ist der XL-Smart in der 10.000-Euro-Liga. Genau: dort, wo er immer gefehlt hat.
Der Käfer hatte nie das Talent zum Viertürer – und VW kein Interesse, sich Partner ins Boot zu holen. So starb der Bucklige als Zweitürer, der keine Personenbeförderungs-Jobs mehr machen durfte. Eng war er immer. Heizte schlecht. Hatte wenig Kofferraum. Wenig Leistung. Eine zappelige Lenkung. Ab Tempo 110 ruft der luftgekühlte Boxer im Hirn des Fahrers ein Schonprogramm auf, dem Schreihals nicht noch mehr zuzumuten. Und sich auch nicht, denn der Fahrtwind pfeift durch die Dreiecksfenster.
Auf Asphalt bleibt der Käfer lange Zeit stabil
Asphalt kann der Käfer, auf Kopfsteinpflaster wird's haarig: Dann reicht ein kurzer Gasstoß zum Volldreher.
Heute sind deren Drehknäufe ein nostalgisches Fest für die Fingerspitzen. Wo sonst darf man im modernen Auto noch ein Handschuhfach aufdrehen? Die Hand lässt sich dabei ertappen, wie sie selbstvergessen über das nackte Metall fährt, das als Handbremse dient. Überhaupt riecht der Käfer innen nach gestern. Nach Lack, Sprit und Erdbeereis, das ich in Onkel Pauls Käfer aß. Dass der Öffner für die vordere Haube im Handschuhfach liegt, weiß jeder deutsche Junge jenseits der 50. Es gibt auch keine Betriebsanleitung, die davor warnt, was auf dem Nasskreis bei Continental passiert. Der VW beschleunigt nicht, die Erde dreht sich nur schneller, wenn er Runde um Runde die Beinchen immer mehr hebt, als wollten seine dünnen 165er-Reifen den feuchten Boden gar nicht berühren. Wann wird er abfliegen? Doch der Oldie bleibt erstaunlich zahm. Hält sich auf Asphalt lange stabil und kündigt weich an, wenn das Heck überholen will.
Ein Drift mit dem Twingo gelingt nur mit Gewalt
Absolut narrensicher: Ein Twingo driftet nie – es sei denn, man zieht die Handbremse und zwingt ihn.
So zickig wie erwartet wird er erst auf Kopfsteinpflaster. Da reicht ein flotter Gasstoß für den Drift, ein müder Moment für den Volldreher, weil die Lenkung arbeitet wie eine Wünschelrute. Was müssen sie früher rumgeeiert sein. Wer damit Rallye fuhr, war ein Künstler! Der ist im modernen Heckantrieb nicht nötig. Unser Spar-Twingo hat auch 165er, aber überwacht vom ESP, das schärfer kontrolliert als die CIA. Beim leisesten Schlupf zieht eine unsichtbare Macht die Zügel an, nimmt Gas weg und aktiviert beiläufig eine Leuchte im Rundtacho. So rollt der Renault zickenfrei über Asphalt, den wirft nur ein Erdbeben aus der Spur. Auf Kopfsteinpflaster wechselt die ESP-CIA endgültig in den Krisen-Modus. Reifen rubbeln, Bremsen schnarren, und das gelbe Licht sendet Dauer-Stroboskop. Da kann jede Oma Vollgas geben, trotzdem fährt der Renault nie schneller als 36 km/h, wo der Käfer 42 km/h schafft – bis er rausfliegt. Und wie haben wir den Twingo fürs Foto quergestellt? Pssst, nicht weitersagen: mit der Handbremse. Alter Trick aus der Käfer-Zeit.
Fazit
von
Joachim Staat
Unvergessen, wie erste Smart aufs Dach kugelten. Daher ist der Heckantrieb im Twingo rigoros abgeregelt, jedes Risiko ausgeschlossen. Der Käfer driftet, der Renault nie. Trotzdem versprüht der wendige, flotte Franzose einen Charme, der nicht nur von seinem Namen herrührt: Der heißt wieder zu Recht Twingo!