Das wäre eine Schlagzeile: Ein Damenfahrrad erreicht 291(!) Kilometer pro Stunde. Letztes Wochenende hab' ich das geschafft. Aber fürs Guinnessbuch reicht das wohl trotzdem nicht. Denn der Drahtesel hat den Rekord im Kofferraum eines serienmäßigen Kombis liegend gebrochen, Tempo fast 300 – am Tacho des Autos abgelesen. Egal. Fahrrad, Tapeziertisch, Ikea-Regal – das ist ohnehin völlig nebensächlich. Ein Kombi, der Sperrgut auf die Startgeschwindigkeit eines Airbus beschleunigt, taugt auch ohne Tricks fürs Rekord-Buch. Audis neuer RS 6 Avant markiert den Bestwert: 580 PS. Ein Fünfliter-V10 mit Benzindirekteinspritzung und Bi-Turboaufladung katapultiert den rasenden Luxus-Kofferraum so an allen Mitbewerbern vorbei. Wuchtiger geht es in der Kombi-Klasse definitiv nicht! Höchstens annähernd so brutal. BMW M5 Touring und Mercedes E 63 AMG T spielen mit 507 beziehungsweise 514 PS in der gleichen Liga der Tempo-Transporter.

Es kribbelt bereits beim Gedanken an die drei Raketen-Kombis

Gleichzeitig geht es kaum teurer als bei diesen drei Superlastern. Mindestens 106.900 Euro sind für einen Audi RS 6 Avant fällig – Mercedes E 63 AMG und BMW M5 verlangen 100.972 beziehungsweise 95.000 Euro von ihren Käufern. Ein feiner Rennanzug kostet eben. Den Sinn dieser exklusiven Typen mit eingebauter CO2-Überfettung wollen wir hier nicht infrage stellen. Zumal RS 6, M5 und E 63 AMG ähnlich faszinieren wie ein Weltrekord im Schwertschlucken – es kribbelt bereits beim Gedanken daran. Speziell der Audi löst Prickeln aus. Durch seine bauchig ausgestellten Kotflügel dehnt sich der Kombi muskulös in eine maßgeschneiderte Form. Das wirkt viel weniger aufgemotzt, auf jeden Fall durchdachter und trainierter als bei den vorrangig durch geschlitzte Schürzen und markante Auspuffanlagen geschmückten Konkurrenten. Egal, ist eh Geschmackssache – viel wichtiger ist die Frage: Was können die kraftstrotzenden Renn-Kombis wirklich?

Der M5 Touring muss erst richtig auf Touren kommen

BMW M5 Touring
Der Konkurrenz im Sprint unterlegen: Beim Start ringt der M5 Touring um Traktion.
Fangen wir am Stammtisch an. Genauer: bei Null auf 100. Allein in dieser Übung zeigen sich die unterschiedlichen Charaktere der drei Boliden. Audi stürmt mit Turbo und traktionsstarkem Allradantrieb vorwärts. So donnert er Mercedes und BMW aus dem Stand heraus erst einmal davon. Um dann ab Tempo 50 Vorsprung einzubüßen. Denn nur auf den ersten Metern wirkt sich der Hinterradantrieb der Konkurrenz im Gegensatz zum beeindruckend kraftschlüssigen quattro-Antrieb des Audi nachteilig aus. Bis Tempo 100 kann der "schwächere" und leichtere Benz tatsächlich Boden gutmachen. Bereits im zweiten Gang ist das Tempo dann geknackt: 4,4 Sekunden für RS 6 und AMG! Damit deklassieren die beiden den hinterherfauchenden M5. Denn mit fünf Zehntelsekunden Abstand steigt der BMW hier in die zweite Liga ab. Aber nur in dieser Disziplin. Ist der Traktionsnachteil erst einmal überwunden, dreht der M5 Touring auf. Im wahrsten Sinne des Wortes. Hochdrehzahl-Konzept heißt die Waffe gegen das Hubraum-Pfund des Mercedes, SMG heißt das Rezept gegen das Vorschlaghammer-Wesen des Turbo-V10 im Audi.
Der BMW hält die Gänge länger und die Schaltpausen dazwischen kürzer. Hemmungslos und brutal jagt die automatische Steuerung des Getriebes die Fahrstufen unter Last rein. Und das jedes Mal erst bei fast 8000 Touren. Das begeistert, der M5-V10 dreht wie befreit bis zur Drehzahlgrenze. Am Ende reicht das aus, um bis Tempo 200 den Mercedes abzuhängen. Der E 63 AMG beschleunigt unspektakulärer. Sanft, aber zügig und in schneller Folge legt die Siebenstufen-Automatik eine Fahrstufe nach der anderen ein. Gleichförmig heftig geht es dabei vorwärts. Wie im Ferienflieger beim Start: Man lehnt sich zurück, registriert ein Vibrieren und wartet aufs Abheben. Der AMG-Motor gibt homogen seine brachiale Leistung ab, stampft unaufhaltsam aus dem Keller heraus, dreht danach wie entfesselt. Der Audi beseelt dagegen mit unwirklich schnellen Überholsprints. Die beiden Turbolader des V10 zeigen dabei eine ähnliche Wir-kung wie das Feststoffraketen-Paar am Spaceshuttle: Einmal gezündet, will der RS 6 am liebsten gleich die Umlaufbahn verlassen. Heftig. Brutal.

In Kurven streift der Audi seine Wuchtigkeit einfach ab

Audi RS 6 Avant
Phänomenal: Die Audi-Ingenieure haben über zwei Tonnen Gewicht auf gefühlte 1000 Kilo reduziert.
Allerdings rauscht der Audi nicht ganz so gleichförmig ab wie eine Rakete. Denn die Automatik legt die Gänge ganz schön ruppig ein. Und im manuellen Modus stottert der Fünfliter-FSI unerwartet früh und irritierend unsanft in den Drehzahlbegrenzer. Aber der RS 6 kann auch ganz anders. Wenn es in Kurven geht, scheint er jegliche Wuchtigkeit abzustreifen. Fantastisch, wie die Audi-Alchimisten über zwei Tonnen Kombi-Blei in gefühlte 1000 Kilo Rennwagen-Gold verwandelt haben. Der RS 6 lenkt zackig ein, lässt sich mit wenig Lenkaufwand präzise führen. Gleichzeitig schiebt er im Grenzbereich spät, aber neutral und sehr beherrschbar über alle vier Räder nach außen. Einfacher kann man auf derart hohem Tempo-Niveau nicht über einen Rundkurs toben. Das zeigt auch die Stoppuhr: Auf unserem Handling-Testkurs nimmt der Audi dem Mercedes über zwei Sekunden pro Runde ab, klaut dem M5 immerhin acht Zehntel. Der BMW ist somit zwar objektiv langsamer als der Audi. Gefühlt geht im M5 die Post aber noch heftiger ab.

Der E 63 AMG gibt sich narrensicher und funktional

Mercedes-Benz E 63 AMG T
Fast schon unspektakulär: Der Mercedes E 63 AMG T gibt sich auf der Rennstrecke narrensicher.
Mit wischendem Heck stürmt er aus Kurven heraus, sehr gefühlvoll und präzise kann der Pilot gegenlenken und Kurskorrekturen vornehmen, man fühlt sich aktiver eingebunden. In der Bremszone vor Kurven macht es der potente M5 seinem Piloten allerdings unnötig schwer. Leichte Unebenheiten auf der Piste bringen sofort Unruhe ins Auto, nervös schlingernd sticht der M5 dann in den Radius hinein. So etwas lässt den Mercedes kalt. Ohnehin bleibt hier das ESP im Gegensatz zu den zweistufig deaktivierbaren Systemen von BMW und Audi stets aktiv. Das heißt für den Fahrer: Das Tempo, das M5 und RS 6 auf dem Rundkurs vorlegen, erreicht man so auf keinen Fall. Dafür umrundet man den gleichen Kurs beinahe "einhändig" – so unspektakulär und sicher fühlt sich der schnelle E 63 in allen Situationen an. Genauso souverän spielt der Mercedes dazu den Alltags-Kombi. Das superfunktionale T-Modell federt dank seiner Luftfederung geschmeidig, Platzangebot und Sitzkomfort sind optimal.

BMW übertreibt es mit der Sportlichkeit: Selbst auf der Komfort-Stufe der adaptiven Dämpfung machen sich Querfugen in der Fahrbahn als Erschütterungen in der Karosserie bemerkbar. Audi-Fahrer leiden dagegen unter dem kompromisslos steifen 20-Zoll-Reifenformat, das am Testwagen montiert war. Der Komfort schwindet. Die knallharten Reifen kopieren praktisch jedes Steinchen im Asphalt. Andererseits bescheren die flachen Flanken einen Vorteil im Handling sowie beeindruckende Bremswerte. Teilweise unterbietet der RS 6 sogar 36 Meter. Das ist – genau – ein Rekord.

Das Fazit von AUTO BILD-Redakteur Jan Horn

Den schnellsten Rennkombi baut Audi – er ist auf der Rundstrecke nicht zu schlagen. Aber es geht hier nicht nur nach Stoppuhr – einen besonders fesselnden Ritt erleben BMW-Piloten. Die fauchende Fahrmaschine begeistert. Aber: Im Alltag nervt die unentschlossene Auto-Funktion des SMG. Der insgesamt beste deutsche Lust-Laster ist der Mercedes. Ein E 63 AMG ist sicher, souverän, speziell im Alltag enorm brauchbar – und gleichfalls faszinierend flink.