Volvo ist nicht irgendwer. Volvo ist europäisches Kulturgut. Aufmerksam verfolgen Autofreunde den abenteuerlichen Weg der Schweden: vom Vorbesitzer Ford zum neuen Eigentümer Geely (aus China), von kantigen Kombis zu coolen Designermöbeln. So ein Kurswechsel hinterlässt immer Enttäuschte und gewinnt neue Fans – kaum ein Volvo verkörpert den rasanten Wandel so gut wie der V60. Dieser Fünftürer, halb Kombi, halb Style-Keil, setzt sich zwischen alle Stühle der Mittelklasse. Selten wurde in der Redaktion ein Kandidat im Dauertest so zwiespältig diskutiert: Ist das noch ein echter Volvo? Deshalb gleich die wichtigste Antwort vorweg: An der Zuverlässigkeit des V60 gibt es nichts zu mäkeln. Die Qualität stimmt. Der kleine Spardiesel, der als Sondermodell "Ocean Race" in den Fuhrpark kam und sich mit einer Luxusflotte an Extras auf 50.045 Euro schraubte, bekommt als Testnote eine 1-. Wäre nicht nach 15.997 Kilometern das Infotainment-System einmal ausgefallen, stünde der V60 als Musterschüler mit ganz oben in der AUTO BILD-Rangliste.
Sport-Ausstattung für Volvo V60 und S60
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Ob der V60 gefällt, kommt auf die Perspektive an

Volvo V60
Der V60 kam nicht immer gut an. In einem Punkt aber herrscht Einigkeit: In Sachen Zuverlässigkeit ist der Schwede eine Bank.
Einmal die Waschdüse kontrollieren, Bremsscheiben hinten tauschen, keinen Tropfen Öl nachfüllen – das war es auf 100.000 Kilometern. Ein Ergebnis, das sich manch deutsche Nobelkarosse wünschen würde. Alles Friede, Freude, Eierkuchen? Von wegen. Denn im Fahrtenbuch finden sich böse Kommentare wie der von Martin Puthz: "Dieses Auto ist eine Katastrophe! Premium ist daran nur der Preis", wetterte der Autor und Alt-Volvo-Kenner, der gleich darauf einen entschiedenen "Einspruch!" kassierte. "Eine gute Wahl", urteilte Redakteur Stephan Puls, dessen Frau und Familie sich im V60 so sicher fühlten wie in Abrahams Schoß. Es kam halt auf die Perspektive an – auch das ist typisch Volvo.Lassen wir Fakten sprechen: Der V60 erntete durchweg Lob für seine bequemen Sitze, die grundsolide Verarbeitung und ein Design, das "in wohltuender Weise auf Repräsentation verzichtet", wie Christian Steiger fand. Der Vizechef spürte die typische Volvo-DNA, doch er notierte auch konzeptbedingte Mängel wie den engen Fond ("schon Zehnjährige beklagen Raumnot") oder den knappen Kofferraum ("nicht familientauglich"). Dass selbst der kleine V50 mehr Laderaum bietet, überrascht gerade bei Volvos Kombi-Kompetenz. Die Einrichtung dagegen beruhigt so nachhaltig wie eine Antistress-Pille, wozu das Heer der Fahrassistenten (im Paket für 1980 Euro extra) beiträgt. Der Auffahrwarner funktioniert zuverlässig, die Rückfahrkamera liefert ein gestochen scharfes Bild. Doch die elektronischen Heinzelmännchen übertreiben gern. Ständig blinkt, piept oder bimmelt es, sodass viele Fahrer die Warner entnervt abstellten, was etwa beim Totwinkel-Assi erst nach umständlichem Fummeln im Elektronikmenü gelang.

"Das Navi ist eine Zumutung"

Volvo V60, Innenraum
Der Arbeitsplatz: klare Instrumente, aber umständliche Bedienung. Der Tageskilometerzähler reicht nur bis 999,9 Kilometer.
Dort, in der Mittelkonsole, lag ohnehin das größte Ärgernis: Über die Größe der Bedientasten oder ein Dekor, das an zerkratztes Plastik erinnert, lässt sich streiten. Nicht jedoch über eine Bedienlogik, die sich selbst nach langer Gewöhnung nicht erschließt. "Das Navi ist eine Zumutung", ärgerte sich Online-Redakteur Michael Voß, nachdem er auf der empfohlenen Umleitung im Stau gelandet war. Schade, denn Reisen sind die wahre Bestimmung des 114 PS starken Diesels, dessen entspannter Charakter die Geschmäcker spaltet. Wirkt der 1,6-Liter im Stadtverkehr noch "wie ein Fisch an Land", zappelig zwischen Turboloch beim Anfahren und knochigem Hochschalten (eine Automatik gibt es nicht), überzeugt der Motor auf Langstrecken mit leisem Lauf und geringem Verbrauch. "Mini-Durst und Maxi-Tank ergeben eine Reichweite wie ein Atom-U-Boot", staunte Kollege Michael Struve. Bei zurückhaltendem Gasfuß sind mit den 68 Litern bis zu 1400 Kilometer möglich – nur nicht für Fahrer, die im lang übersetzten fünften und sechsten Gang nach kraftvoller Beschleunigung suchen.
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Auf Nebelscheinwerfer muss der Schwede verzichten

Aber muss es immer Kraftsport sein, gerade bei einem Volvo? Nein, die verstellbare Dämpfung bleibt am besten in "Comfort", weil die schönen 18-Zöller hart über fiese Fugen rumpeln. Wir empfehlen stattdessen das Komfortfahrwerk mit der US-Abstimmung – oder einfach schluckfreudige 17-Zoll-Räder. Manches kann Volvo erstaunlicherweise gar nicht liefern. Nebelscheinwerfer, einen größeren Wischwasserbehälter oder Klappspiegel, die im Winterhalbjahr nicht so schnell einfrieren. Bauten die Schweden nicht mal perfekte Winterautos? Aber darüber könnte schon wieder ein Kulturstreit ausbrechen. Wenn nach 100.000 Kilometern nur der Türgriff knarzt, das Leder eine schöne Patina angesetzt hat und das Auto sonst noch taufrisch wirkt, dann kann Volvos Kurs so falsch nicht sein.
Was während des Tests und bei der Demontage des Volvo V60 außerdem aufgefallen ist, erfahren Sie in der Bildergalerie.

Bildergalerie

Volvo V60
Volvo V60
Volvo V60
Kamera
100.000 Kilometer im Volvo V60


Fazit

von

Joachim Staat
Kleiner Motor, großes Auto – der V60 ist kein Chefdynamiker, aber ein komfortabler Reisekombi mit extrem hoher Reichweite. Solide Qualität und hochwertige Verarbeitung entsprechen dem hohen Preis des Volvo. Nur das Infotainmentsystem überzeugte uns nicht – und sorgte noch dazu für den einzigen Dauertest-Defekt.

Von

Manfred Klangwald
Joachim Staat