Manche Vorurteile lassen sich einfach nicht aus der Welt schaffen. Vorurteil Nummer eins: Volvo sind große, rechteckige Klötze, von bärtigen Lehrern mit Strickpullis gemächlich bewegt. Das stimmt längst nicht mehr. Volvo ist heute nordischer Lifestyle, Design statt Backstein. In Göteborg führt seit drei Jahren ein Brite namens Steve Mattin die Feder, er ist 44 und hat sein Handwerk bei Mercedes-Benz gelernt. Der XC60 ist Mattins erster Entwurf – und gleich ein Hingucker. Vorurteil Nummer zwei: Mittelgroße SUV, die Trendautos der Saison, sind dicke Schiffe. Wieder falsch. Der XC60 steht leicht da, fast sportlich. Über großen Rädern – 18 Zoll beim Fotoauto – spannt sich ein Karosserie-Keil mit flachen Fenstern und kräftigen Schultern, stark auf Taille geschnitten. Vorn schiebt der Volvo einen steilen Grill durch den Wind. Am Heck sind die Kanten scharf modelliert, wie Flammen züngeln die LED-Rückleuchten zum Dach hinauf.

Beim Design sticht der Schwede die deutsche Konkurrenz aus

Volvo XC60
Cooler Boulevard-Cruiser: Beim Design kann der XC60 ordentlich punkten.
Gegen den coolen Schweden wirken die beiden Deutschen eher steif und konservativ. Der BMW X3 trägt ein Blechkleid im Faltenwurf des Münchener Barocks. Und Mercedes hat seinen GLK, der wie der XC60 im Herbst beim Händler steht, als aufrechte Trutzburg gezeichnet. Der Schwabe ist 4,53 Meter lang, der Bayer 4,57 Meter und der Schwede 4,63 m. Mit 1,71 Meter Höhe ist der Volvo auf Höhe des Mercedes (1,69), auch das lässt ihn so schick wirken. Sitzprobe im XC60: Alle Türen öffnen weit, in den Fond steigt es sich bequem ein. Hoch und aufrecht sitzt man hier, die starren Kopfstützen genügen in der Höhe. Kopf, Ellbogen und Knie haben genug Raum, die 2,77 Meter Radstand sind gut genutzt. Integrierte Kindersitz-Erhöhungen kosten 300 Euro. Das Sitzumklappen ist ein Ruck-zuck-Job. Die Lehnen – 40:20:40 geteilt – fallen auf die Kissen, ähnlich wie bei BMW und Mercedes. Der erweiterte Gepäckraum ist breit und plan, die Ladekante liegt mit etwa 75 cm zwar hoch, erlaubt aber ebenes Beladen.

Um einen echten Lademeister handelt es sich beim Volvo XC60 nicht

Volvo XC60
Kein Riese im Kofferraum: In den XC60 passen zwischen 495 und 1455 Liter.
Ein doppelter Boden, ein Trennnetz und ein klappbarer Beifahrersitz sind Serie, er erweitert die Einladelänge auf 2,69 Meter. Die automatische Heckklappe (500 Euro) ist Luxus, eine aufstellbare Platte, die Einkaufstaschen stützt (130 Euro), macht Sinn. Unterm Strich ist der Volvo jedoch kein Lademeister: Er schluckt 495 bis 1455 Liter Gepäck, der kleinere BMW bis zu 1560 Liter. Der Arbeitsplatz des Fahrers? Angenehm, entspannt. Und überall lichter, klarer Schweden-Look, freundlicher als die Kasten-Cockpits der Deutschen. Die Mittelkonsole ist schräg geschnitten, sie neigt sich zum Fahrer hin und steht frei im Raum. Das Radio-Tastenfeld ordnet sich dem Design unter – schade, denn es ist zu klein. Auch der fest eingebaute Monitor hätte mehr Raum verdient – bedient wird das Navigationssystem (2410 Euro) mit einem Knubbel an der Lenkradspeiche. Ein zweites Display oben auf dem Cockpit zeigt die Funktionen von Audio- und Klimaanlage (beides Serie). Die feinste der vier Ausstattungslinien heißt Summum (5200 Euro extra). Hier funkeln Chrom und Alu, die Lederbezüge werfen behagliche Falten. Holzblenden kosten noch mal 510 Euro, im Fotoauto waren sie aus hellem, offenporigem Furnier. Die beiden Rundinstrumente im Cockpit sind sauber gezeichnet, vernünftige Ablagen gibt es auch.
Bei der Technik ist der XC60 ein Mix aus Land Rover Freelander und den großen Volvo-Baureihen. Er startet mit drei Motoren, die alle quer eingebaut sind. Als Benziner gibt es den starken T6 – mit Turbo-Anschub leistet der Dreiliter-Reihensechser 285 PS. Die beiden Fünfzylinder-Diesel holen aus 2,4 Liter Hubraum 163 und 185 PS. Sie sind mit einem Sechsganggetriebe gekoppelt, eine Sechsstufenautomatik (Serie beim T6) kostet 2050 Euro. Der stärkere Diesel, D5 genannt, soll mit Sechsgang 205 km/h Spitze rennen, in 9,5 Sekunden auf Tempo 100 stampfen und im Schnitt 7,5 Liter/100 km brauchen. Klingt nicht schlecht, aber auch nicht überwältigend. Ein BMW X3 2.0d (177 PS) ist flinker und sparsamer – 8,9 s, 206+ km/h und 6,5 l/100 km. Für 2009 plant Volvo einen Diesel mit Vorderradantrieb und 6,5 Liter Verbrauch/100 km. Dann folgen Vierzylinder-Benziner von Konzernmutter Ford und ein Hybridantrieb – hier spielen die Ingenieure noch diverse Varianten durch. Der XC60 hat eine Bergabfahrhilfe und stolze 230 Millimeter Bodenfreiheit (X3 nur 201 mm). Trotzdem ist er ein Auto für die Straße, noch mehr als die SUV von BMW und Mercedes.

Mit dem Volvo XC60 könnte man zur Not auch ins Gelände

Volvo XC60
Viel zu schade fürs Gelände: Theoretisch beherrscht der Allrad-Volvo aber die Offroad-Disziplin.
Offroad fahren ist möglich, natürlich, aber Volvo folgt lieber der Philosophie von BMW – der X3 ist ja der Sportler unter den mittleren SUV. Als Extra steht ein System in der Liste, mit dem sich die Stoßdämpfer in drei Stufen einstellen lassen (1350 Euro). Mercedes macht das ganz anders und bietet seinen GLK wahlweise mit Straßen- oder Geländekarosserie an. Eine halbaktive Fahrwerkregelung ist beim Schwaben-SUV Serie. Ein Allradantrieb hat ja auch auf der Straße seine Stärken. Das Volvo-System kommt aus Schweden – die Haldex-Gruppe, die auch Volkswagen beliefert, sitzt in Stockholm. Ähnlich wie beim VW Tiguan fließt die Motorkraft unter normalen Bedingungen zu 95 Prozent auf die Vorderräder. Wenn dort Schlupf auftritt, leitet eine hydraulische Lamellenkupplung bis zu 65 Prozent der Momente nach hinten. Bei den Konkurrenten ist es genau umgekehrt. Der X3 teilt den Hinterrädern regulär 60 Prozent der Kräfte zu, der GLK 55 Prozent.
Der XC60 sei der sicherste Volvo aller Zeiten, betont das Werk und setzt auch gleich einen innovativen Standard – ein aufpreisfreies Assistenzsystem für den Stadtverkehr. Ein optischer Laser beobachtet den Bereich vor dem Auto. Wenn bei einem Tempo unter 30 km/h ein Auffahrunfall droht, leitet er selbsttätig eine Vollbremsung ein. Als Extras gibt es einen Radar-Tempomaten für die Autobahn, der im Notfall mit halber Kraft bremst, und zwei Systeme, die beim Halten und beim Wechseln der Spurassistieren. Die Dachreling ist Serie beim neuen Volvo, für Boxen und Bikes stehen diverse Träger zur Wahl. Mit dem 163-PS-Diesel steht der XC60 für 33.900 Euro beim Händler. Das ist weniger als bei BMW (37.900 Euro für den X3 2.0d) und Mercedes (ab etwa 40.000 Euro), trotzdem aber viel Geld. Volvo fahren ist halt etwas Besonderes. Dieses Vorurteil zumindest stimmt immer noch.

Das Fazit von AUTO BILD-Autor Johannes Köbler

Keil statt Backstein – dieser Volvo hat mich überrascht. Natürlich bauen sie in Göteborg schon lange keine Schuhschachteln mehr, aber so viel Mut und Selbstvertrauen hätte ich beim Design nicht erwartet. Der XC60 ist ein cooler Boulevard-Cruiser, fürs Gelände viel zu schade. Seine Technik unterstreicht diesen Charakter, das dicke Sicherheits-Paket finde ich richtig gut. Der XC60 wird seine Nische finden – im Premium-Segment zwischen BMW X3, Mercedes GLK und auch dem neuen Audi Q5 .

Von

Johannes Köbler