Wolfsburg zittert. Nein, natürlich nicht um den Meistertitel, den hat der VfL sicher im Sack. Wolfsburg zittert beim Blick nach Rüsselsheim. Denn dort reift der neue Opel Astra heran. Und der wird in der Golf-Liga nicht um den Klassenerhalt, sondern um die Meisterschaft kämpfen. Mit allen Mitteln. Das wissen sie, speziell die Herrschaften, die im Wolfsburger VW-Hauptquartier das Sagen haben. Deshalb zittern sie – ein wenig zumindest. Auch wenn die Lage noch immer unübersichtlich ist: Opel wird nicht untergehen, der Astra wird kommen. Und wenn er im September auf der IAA für rund 16.300 Euro vorgestellt wird, dann dürfte der Golf VI ein Problem haben. Und die VW-Chefs werden sich etwas wärmer anziehen müssen. Nicht nur, weil der neue Astra fast eine Nummer größer ausfällt als sein Rivale (22 Zentimeter länger, sieben breiter).

Der neue Opel Astra lässt den Bestseller VW Golf fast schon alt aussehen

Er macht auch optisch mehr her. Ja, er schickt sich sogar an, dem Golf in seiner Paradedisziplin den Rang abzulaufen. Das Stichwort heißt Hochwertigkeit, in der VW-Werbung zu "Wertigkeit" verundeutscht, auf jeden Fall aber die stärkste Säule des Golf-Erfolgs. Zu hoch gegriffen? Wir haben uns den Astra schon mal vor die Linse geholt und den Golf gleich dazu. Erster Eindruck: Neben dem aufrechten, kreuzbraven VW mimt der Opel den flotten Hirsch. Hier die (sauber geschneiderte) Kittelschürze, dort das Designerkleid. Der Astra sieht eleganter aus mit sportlichem Unterton, steht breitbeinig auf der Straße. Die zusätzlichen Zentimeter kann er gut kaschieren, auf Anhieb fällt aber der um elf Zentimeter längere Radstand auf. An den Flanken breite Schultern, sanfte Wölbungen zwischen klar definierten Kanten, unten die geschwungene Linie wie beim Opel Insignia, nur mit umgekehrtem Verlauf. Dazu ein ausgesprochen knackiger Hintern, der sich im oberen Bereich stark verjüngt. Lecker.

Mit kleinen Designzitaten spannt Opel den Bogen zur Vergangenheit

Vorn nehmen wir dankbar zur Kenntnis, dass uns die Opel-Stilisten keinen Gesichts-Picasso präsentieren. Da unterscheidet sich der neue Astra wohltuend von der aktuellen Mode. Der Grill ist kleiner als beim Insignia und hübscher, alle Konturen und Linien verlaufen harmonisch, ohne dass Langeweile aufkommt. Das Wabenmuster in den Lufteinlässen soll an den guten alten Commodore erinnern, verrät der anwesende Designer Uwe Müller, für den Astra verantwortlich und seit 18 Jahren bei Opel. Verschmitzt zeigt er auf eine weitere Stelle, die den Bogen zu den Klassikern spannt: "Diese Linie, der Übergang Seitenfenster zu Heckscheibe, kommt sie Ihnen bekannt vor?" Nicht auf Anhieb, ehrlich gesagt, aber Müller hilft nach: "Kadett B ..." Stimmt, das sogenannte Kiemen-Coupé lässt grüßen. Nett. Die Liebe zum Detail sei es halt, die gutes Design ausmachte, betont Müller. So komme der Eindruck von Hochwertigkeit, den der Astra zweifellos weckt, auch nicht von ungefähr: "Die Gestaltung der Flächen ist wichtig, schmalere Fugen natürlich, aber auch solche Dinge wie der Chromrand an den Fenstern, eine Ausnahme in dieser Klasse."
Klar, dass auch die Leuchteinheiten, das aktuelle Lieblingsspielzeug aller Designer, das Ihre dazu beitragen müssen. Vorn lugen die Scheinwerfer unter einem winkelförmig gestalteten LCD-Tagfahrlicht hervor (Müller: "wie Adleraugen"), auf Wunsch mit adaptivem Abblendlicht. Die Rückleuchten gleichen formal den Scheinwerfern und strahlen mit je zwei Lichtwinkeln – "damit der Opel auch bei Dunkelheit als Opel zu erkennen ist", so Müller. Alles wohl durchdacht also. Aber warum dann diese Fuge der Motorhaube, die so unschön quer über die Schnauze des Astra läuft? "Stilistisch nicht optimal, zugegeben", gesteht Müller, "aber die verkürzte Motorhaube bringt Vorteile bei den Crash-Reparatur-Tests für die Versicherungseinstufung." Folge: deutlich geringere Kosten. Und wie hält sich der Astra nun im Qualitätsvergleich mit dem Fugenwunder Golf? Mal sehen, muss die ehrliche Antwort lauten, denn unser Fotoauto ist noch ein Schaustück aus dem Designstudio – kein Blech, sondern alles nur Kunststoff. Da steht die Serienwahrheit also noch aus.

Im Innenraum hat der Astra viel vom Insignia übernommen

Opel Astra
Immerhin: Reinsetzen und den Blick schweifen lassen geht schon. Und das lohnt sich. Das Lenkrad stammt eins zu eins aus dem Insignia, ebenso die vier Rundinstrumente. Und auch die Anmutung des Cockpits, das seitlich in die Türen überschwingt, lässt Insignia-Gefühle aufkommen. Ganz schön elegant, das Ganze, zumal für ein Auto dieser Klasse. Weitere Highlights: bequeme Sitze (angeblich mit dem größten Verstellbereich in der Klasse), viele Ablagen, Türfächer, in denen sich 1,5-Liter-Flaschen verstauen lassen. Allerdings sind die Oberflächen noch nicht endgültig, da wird noch feingeschliffen.
Weitere Informationen zum Duell Opel Astra gegen VW Golf finden Sie in der Bildergalerie. Den kompletten Artikel mit sämtlichen Details wie den Motorisierungen des neuen Rüsselsheimer Kompakten gibt es in AUTO BILD 23/2009. Außerdem im Heft: So fährt sich der neue VW Golf Bi-Fuel.

Fazit

von

Wolfgang König
Ein Astra, gleich welcher, ließ mich bisher kalt. Unter null, wenn ich ehrlich bin. Aber beim Anblick des Neuen wird es mir warm unterm Kragen. Ja, wirklich – das Auto stimmt, und zwar von vorn bis hinten. Mehr noch als der Insignia. Nicht überstylt, aber auch nicht langweilig, stattdessen frisch und gut proportioniert. Daneben wirkt der Golf bereits leicht angestaubt. So viel steht fest: Für Opel ist der Astra das perfekte Auto für einen neuen Anfang.

Von

Wolfgang König