Kennen Sie noch MacGyver? Den Serienheld aus den 80ern? Er konnte mit Taschenmesser und Klebeband aus Ravioli-Dosen eine Bombe basteln. Mercedes zeigt sich ähnlich kreativ. Um Entwicklungskosten für einen Kastenwagen zu sparen, reisten Stuttgarter Ingenieure nach Paris, zu Partner Renault. Dort schusterten sie mit ein paar Sternen und Federbeinen aus dem Kangoo den Citan.Der Name des neuen Benz setzt sich aus "City" und "Titan" zusammen – ganz schön selbstbewusst. Und da endet der Einfallsreichtum der Marketingstrategen noch lange nicht. Gemeinsam mit dem mittlerweile ergrauten MacGyver schicken sie den Citan in Werbespots auf Verbrecherjagd.
Noch mehr Familienautos mit Schiebetür
Mercedes Citan
Kangoo mit Stern: Der Citan unterscheidet sich optisch und in Sachen Fahrwerk vom Technikspender.
In der Realität sieht er sich allerdings anderen Gegnern als Terroristen und durchgeknallten Cyborgs gegenüber. Ganz oben auf der Liste der Konkurrenten steht der mit 50 Prozent Marktanteil geadelte VW Caddy. Und dann ist da der Technikspender aus den eigenen Reihen, der Renault Kangoo. Ihm muss der Citan beweisen, dass er mehr kann, als sich mit Sternen zu schmücken. Für den Vergleich fiel die Wahl auf die Kombi-Varianten mit fünf Sitzen. Das bedeutet weniger Blech als bei den reinen Nutzfahrzeugen, dafür mehr Glas und Familientauglichkeit. Schließlich will keiner die Kleinen in einen fensterlosen, unverkleideten Fond packen. Die Dieselantriebe sind mit 90 PS bei Citan und Kangoo sowie 102 PS beim Caddy völlig ausreichend und nicht zu schwachbrüstig für den Familienalltag. Auch die Grundpreise von 18.690 Euro beim Kangoo bis 22.057 Euro beim Caddy bewegen sich noch auf erschwinglichem Niveau. Bleibt nur die Frage, was die Kombis einer Kleinfamilie für das Geld bieten. Also ran.
VW Caddy
Eher Pkw: VW schlägt mit dem weicher gezeichneten Caddy einen anderen Weg ein als die Konkurrenz.
Wer zeigen will, dass er Mercedes fährt, sollte den Citan stets von vorn präsentieren. Hier sind die größten Unterschiede zum Kangoo auszumachen. Sie reichen von den rundlicheren, aber nicht viel kleineren Außenspiegeln bis hin zum Kühlergrill mit Stern. Größere Eingriffe gab es im Innenraum. Material und Verarbeitung sind besser als beim Kangoo. So klappert es im Citan bei Unebenheiten weitaus weniger als beim Franzosen. Dafür steht der überarbeitete Armaturenträger wie ein schwarzer Klotz im Cockpit und vermittelt mehr Nutzfahrzeugatmosphäre als das des Renault. VW schlägt mit dem außen und innen weicher gezeichneten Caddy einen anderen Weg ein, trägt keine zu groben Materialien und orientiert sich mehr an Komfort und Qualität von Pkw. Im Fond und beim Kofferraum zeigen die Kombi-Ableger der Kastenwagen, warum sie neben gewerblichen Kunden auch für Familien attraktiv sind. Den Vorteil von Schiebetüren schätzt jeder, der regelmäßig Kindersitze ein- und ausbaut. Mit zwei Handgriffen wird die Rücksitzbank bei Citan und Kangoo zur ebenen Fläche. Das Kofferraumvolumen wächst jeweils von 438 auf 2080 Liter.
Die Rücksitze im Caddy lassen sich sogar komplett entfernen. Mit einem Platzangebot von 750 bis maximal 3030 Litern setzt der VW die Bestmarke. Der riesige Laderaum dient aber leider auch als Brumm-Box für die Diesel, die durchweg lauter sind als bei gewöhnlichen Pkw. Der ab 70 km/h hinzukommende Fahrtwind erinnert daran, im Ableger eines Lieferwagens zu sitzen. Da macht keines der getesteten Fahrzeuge eine Ausnahme. Doch bei Nutzfahrzeugen ist Geräuschdämmung eher Nebensache. Anders der Verbrauch, der mit 5,7 Litern beim Kangoo bis 6,1 Litern beim Caddy erfreulich gering ausfällt.
Renault Kangoo
Gerät ins Schwingen: Bei forschem Tempo nimmt der Kangoo Bodenwellen allzu gelassen.
Und obwohl Mercedes mit ein paar Eingriffen in die Motorelektronik des Renault-Selbstzünders Drehfreude und Ansprechverhalten spürbar aufgepeppt hat, bleibt auch der Benz (5,8 Liter) genügsam. Allerdings funktioniert das nur mit Energiesparreifen, die auf der anderen Seite die Bremswerte verschlechtern. Irgendwas ist ja immer. Die Kraft der getesteten Turbodiesel reicht völlig aus, um in der Stadt oder auf der Autobahn unangestrengt mitzuschwimmen. Auf kurvenreichen Landstraßen kommen die schweren Kisten durch ihre hohen Aufbauten allerdings ziemlich ins Schwanken und schnell ans Limit. Das dürfte hektische Kurierfahrer mehr interessieren als umsichtige Familienväter. Bei forschem Tempo nimmt der Kangoo Bodenwellen zu gelassen, die weiche Federung versetzt die Karosserie in heftige Schwingungen. Zum Sänften-Effekt trägt auch der plüschig gepolsterte Fahrersitz bei. Und geht es rasch in eine Kurve, arbeitet die Lenkung zu unpräzise, und der Kangoo schiebt stur geradeaus – wobei das ESP leider sehr spät eingreift. Mercedes hat diese Schwachstellen erkannt und bei Fahrwerk und Lenkung nachgebessert.
Nach der Sternen-Kur liegt der Citan straff, aber nicht zu hart auf der Straße. Die Lenkung ist direkt und vermittelt immer das Gefühl, den Kasten präzise ums Eck führen zu können. Zusätzlich wurden die Sitze ordentlich aufgepolstert, der Seitenhalt deutlich verbessert. Geht es zu fix in eine Kurve, kennt der Mercedes keine Gnade: Das ESP übernimmt sofort das Kommando und nimmt rigoros Gas weg. Gut so. Denn was Vettel-Verehrern zwar die Rundenzeit versaut, rettet den Kastenwagen vor gefährlichem Aufschaukeln. Und trotz komfortabler Sitze und straffer Lenkung kommt selbst der Caddy nicht an die Fahrdynamik und Agilität des getunten Kangoo heran. Der Basispreis für den Citan als Kombi mit 90-PS-Diesel beträgt 21.039 Euro. Kein Mercedes ist billiger. Doch dafür muss der Kunde im Citan viel rauen Nutzfahrzeugcharme in Kauf nehmen. Wer sich besser einrichten will, zahlt zum Beispiel für ein CD-Radio 524 Euro und für die Klimaanlage 1131 Euro.
Der gleich motorisierte Kangoo fährt ab 18.690 Euro jedenfalls um einiges günstiger vor, der Testwagen für 21.690 Euro verwöhnt zusätzlich mit Start-Stopp-Automatik, Radio-CD-MP3-Player, Navi und Klimaautomatik. Der Caddy Trendline ist mit Preisen ab 22.057 Euro in diesem Vergleich der Teuerste. Was zu dem ungewohnten Bild führt, dass ein Mercedes günstiger ist als sein VW-Rivale. Gut gebastelt, MacGyver.
Robin Hornig

Fazit

So funktioniert Kooperation – zumindest für Mercedes. Trotz seines rauen Nutzfahrzeugcharmes ist der Citan der bessere Kangoo. Er setzt in seinem Segment einen hohen Maßstab bei Fahrdynamik und Agilität. Der Kangoo bleibt eine günstigere Alternative für alle, die weniger Wert auf Fahreigenschaften legen. Letztlich bietet der Caddy aber das beste Gesamtpaket und punktet bei Familien durch Komfort und Wertstabilität.