Raten Sie mal, wen wir hier meinen: 4,30 Meter lang, über 1,6 Tonnen schwer, mit Allradantrieb, Achtstufenautomatik und Platz für die ganze Familie? Kommen Sie nie drauf. Es ist der neue Mini Cooper S Countryman All4. Mini ist da wirklich nur der Name. Willkommen im postfaktischen Zeitalter, denn beim Countryman handelt es sich um ein gestandenes SUV auf der Bodengruppe des BMW X1. Der 192 PS starke und mindestens 31.900 Euro teure Maxi-Mini trifft auf den mittlerweile sieben Jahre alten Nissan Juke, hier in der Topversion 1.6 DIG-T Nismo RS. Der ist 13 Zentimeter kürzer, wiegt 170 Kilo weniger, bietet aber 22 PS mehr. Sprechen die Fakten am Ende etwa für den schrägen Juke?

Der Countryman bleibt auch als Cooper S optisch zurückhaltend

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Video: Fahrbericht Mini Countryman (2017)

Neues Mini-SUV

Für viele ist die Optik Kaufgrund Nummer eins. Stellt man beide nebeneinander, wirkt der komplett neue Mini Countryman fast schon konservativ. Er sieht aus wie jeder Retro-Mini seit 2001 – nur eben etwas mehr aufgeblasen und fünftürig. Der Juke wirkt immer noch rotzfrech und frisch – vor allem als Nismo RS mit sportlichem Karosserie-Kit. Doch Design ist Geschmackssache. Werden wir konkret. Eine der größten Überraschungen des Cooper Countryman finden wir hinten auf der Rücksitzbank: Platz in alle Richtungen. So luftig und kommod saß es sich in keinem Mini zuvor. Mini? Nichts da, dieses SUV ist absolut familientauglich. Und Kinder sitzen vielleicht auch gern hinten, denn neben Platz erwartet den Nachwuchs Action wie beim Karussell auf der Kirmes, wenn Vati auf kurvigen Landstraßen aufs Gas tritt. Auf der völlig haltlosen Rücksitzbank rutschen Fondpassagiere dann hin und her wie im Musikexpress. Vorn hingegen passen die im Cooper S Countryman serienmäßigen Sportsitze perfekt, sie bieten auch bei fliegender Fahrt sicheren Halt.
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Beschleunigen im Juke erinnert an ein startendes Sportflugzeug

Nissan Juke
Hier tobt das Leben: Wer den Juke von der Leine lässt, erlebt eine ganz besondere Form von Fahrspaß.
Fliegen lässt es sich auch im Juke, nur anders und vor allem vorn auf dem Fahrersitz. Und das geht so: Fahren Sie mit dem Nismo auf eine vollkommen leere Straße, die schnurgerade im Horizont endet. Am besten ein ausgemustertes Flugfeld. Und dann geben Sie Gas, bis der rechte Fuß in der Ölwanne steht. Der Motor beginnt laut zu kreischen und hört damit auch nicht mehr auf, eine Eigenheit des stufenlosen CVT-Getriebes. Die straffe Federung teilt zwar keine üblen Schläge aus, doch der Fahrer spürt, was auf der Straße los ist. Der Schub ist beachtlich, der Horizont kommt stetig näher, während die Gepäckraumabdeckung aus Pappe mit dem Handschuhfachdeckel um die Wette klappert. Ja, in dieser blechernen Bude tobt das Leben! Das Landstraßen-Beschleunigungsszenario erinnert an ein startendes Sportflugzeug. Mit dem Unterschied, dass weder Fahrer noch Fahrzeug abheben. Die 1500 Euro teuren Recaro-Schalensitze umschließen den Körper noch fester als die Mini-Sitze, im Nissan verschmelzen Mensch und Maschine.
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Der Nismo RS lenkt gierig ein, die leichtgängige Lenkung baut einen direkten Draht zur Fahrbahn auf, dank variabler Drehmomentverteilung (Torque Vectoring) an der Hinterachse beschleunigt der Bonsai-SUV herrlich stabil aus Kurven heraus. Im Slalom ist der Juke sogar schneller als der Mini.

Für den Mini spricht das um Längen bessere Getriebe

Wer ballert sich in unsere Herzen?
Nach Punkten vorne: Mit den besseren Bremsen und der großartigen Automatik schlägt der Mini den Juke.
Moment mal, denken Sie, Fahrdynamik war doch stets das große Mini-Thema. Und ja, nach Punkten ist der Cooper Countryman dem Juke auch überlegen: Der Mini bremst etwas besser, sein größter Vorteil ist aber das großartig abgestimmte Achtstufen-Automatikgetriebe von Aisin. Es reagiert extrem feinfühlig auf Gaspedalbefehle, stets liegt die passende Fahrstufe parat. Dagegen wirkt die stufenlose CVT-Automatik im Juke etwas lähmend, vor allem bei höheren Autobahntempi ab 160 km/h. Aber: Die üppige Leistung von 214 PS gleicht den getriebetypischen Gummibandeffekt beinah aus. Wenn schon CVT, dann so wie im Nismo RS. Sinnfrei fanden wir jedoch die im Sportmodus imitierten acht Fahrstufen und die fest stehenden Schaltpaddles hinter dem Lenkrad. Akustisch sind die Unterschiede gering: Während der Mini unter Last mit einem synthetisch erzeugten, bemüht klingenden GTI-Getöse unnötig nervt, klingt der rotzige Juke beim Beschleunigen ehrlich mechanisch. Streichelt man bei beiden das Gas und lässt sie rollen, bleiben sie akustisch zurückhaltend.

Den Altersunterschied von sieben Jahren spürt man deutlich

Mini Countryman Nissan Juke Nismo
Zwei ganz unterschiedliche Typen: Das reifere Auto ist der Countryman, der Juke hat aber mehr Charakter.
Das war es jedoch mit den Gemeinsamkeiten. Man merkt dem Countryman deutlich an, dass er das modernere, größere und souveränere Auto ist. Er federt geschmeidiger, seine Karosserie ist verwindungssteifer, er bietet erheblich mehr Platz und ist im Gegensatz zum Juke familientauglich. Bei der Verarbeitungs- und Materialqualität fällt der Unterschied zwischen den beiden riesig aus – fein und fest beim Mini, grob und wüst gemixt im Nissan. Der Altersunterschied von sieben Jahren ist vor allem im Juke-Cockpit zu spüren: verstreut platzierte Schalter, Klimaregler ohne Rastungen, zu kleine Bildschirme mit einer Grafik wie in den frühen 90er-Jahren. Nach Punkten hat der Power-Juke keine Chance gegen den ausgewogenen Countryman. Doch so ein Charakter-Auto wie den Juke Nismo RS baut sonst niemand: ein Mini-SUV mit eigentlich nur zwei Sitzen, dem Gesichtsausdruck eines zornigen Keilers, 214 PS und stufenloser Automatik. Sinn ergibt das nicht. Macht aber verdammt viel Spaß. So gewinnt das Japan-SUV zumindest unser Herz.
Nur auf den ersten Blick mögen Cooper S Countryman und Juke Nismo RS ähnliche Autos sein. Der große Mini ist ein perfektioniertes, familientaugliches SUV geworden, das reichlich Punkte sammelt. Der viel kleinere Nissan ist ein agiler Kurvenkratzer für zwei, mit seiner schrägen Optik und dem gewöhnungsbedürftigen CVT-Getriebe in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Punkte holt er so nicht unbedingt – dafür erobert er aber locker unsere Herzen.

Von

Manfred Klangwald