Der Polo ist groß geworden

Kinder, wie die Zeit vergeht! Vor 26 Jahren bekam der Golf einen kleinen Bruder. Der hieß Polo, kostete 7555 Mark und war gerade 3,51 Meter lang. Der Polo Jahrgang 2001 misst mittlerweile 3,90 Meter. Wenn der weiterhin so wächst, wird er in 75 Jahren so lang sein wie eine Mercedes S-Klasse.

Spaß beiseite. Aber von einem Mini kann man beim neuen Polo nun wirklich nicht mehr reden. Das tut nicht mal mehr VW, obwohl sie ihm nach Lupo-Art Knopfaugen als Frontleuchten verpasst haben. Nichts als eine charmante Tiefstapelei. Tatsache ist: Der Polo ist groß geworden. Groß und selbstbewusst. Deshalb sollen in Zukunft auch mehr Familien auf ihn abfahren, vor allem auf den von uns getesteten Viertürer.

Grund genug, zur Sitzprobe erst mal hinten einzusteigen und das Auto aus der Schwiegermutter-Perspektive zu betrachten. Wie groß der Polo geworden ist, spüre ich gerade im Fond am deutlichsten: Kopf-, Bein- und Schulterfreiheit hat der Polo wie einst der Golf II. Nichts kneift, nichts drückt. Dazu feste Polster. So sichert VW den Familienfrieden, denn bei dem Platz und Komfort bleibt jede Schwiegermama friedlich.

Trotzdem zieht es mich nach vorn, hinters Steuer, denn endlich hat VW mal ein Lenkrad montiert, das nicht mehr plump, sondern richtig gut aussieht. Darüber hinaus - und auch das ist neu - lässt es sich in Höhe und Reichweite verstellen. Dazu der Fahrersitz in der Höhe.

Verarbeitung und Qualität wie im Passat

Am Komfort der Vordersitze gibt es nichts zu mäkeln. Ebenso wenig an Auflagefläche oder Halt im Rücken. In schnellen Kurven aber zeigt sich, dass die Seitenwülste mehr der Dekoration dienen, als tatsächlich Seitenhalt zu gewähren. Halb so schlimm, fürs Wohlfühlen sorgen ganz andere Dinge. So Verarbeitung und Qualität. Alles wirkt hochwertig, fasst sich gut an. Es imponiert mir, dass VW sich beim Polo genauso viel Mühe gibt wie beim viel teureren Passat W8.

Bei der Gestaltung des Armaturenbretts haben die Wolfsburger aus eigenen Fehlern gelernt. Gut ablesbare Anzeigen und logisch angeordnete Tasten gab es bei VW schon immer. Neu aber ist, dass die Schalter in der Mittelkonsole nach oben gerückt sind. So sind sie noch leichter zu erreichen. Gleichzeitig entsteht eine neue, große Ablage. Überhaupt Ablagen. Der Polo hat sie überall. Sogar wie einst beim Käfer unter den Armaturen. Oder als Schublade unterm Fahrersitz (Serie ab Trendline).

Das tröstet uns über den nur durchschnittlichen Kofferraum (270 Liter) und die immer noch zu hohe Ladekante hinweg. Wer mit dem Polo Getränkekästen transportiert, spart den Gang ins Fitness-Studio.

Fahrwerk, Testwerte und Technische Daten

Unser Test-Polo ist bereits gut in Form. 75 PS sorgen für ausreichende Fahrleistungen. Zwar ist der kleine Vierzylinder (1,4 l) nicht gerade drehfreudig, aber dank kurz übersetzter unterer Gänge wieselt er flott durch die City. Dazu besitzt er eine super Schaltung, läuft angenehm leise, verbraucht mit durchschnittlich 7,2 Litern aber eindeutig zu viel. Kurzum: ein solider, unauffälliger Motor. Nicht aufregend, aber gut.

Wenn man beim eher nüchtern durchgestylten Polo ins Schwärmen gerät, dann sicher, wenn es ums Fahrwerk geht. Ich kenne kein vergleichbares Auto, das so viel Federungs- und Abrollkomfort besitzt. Das hat schon Mittelklasse-Format.

Die Bremsen hingegen sind eher Durchschnitt. 40 Meter Bremsweg aus Tempo 100 kann heute (fast) jeder. Und auch die neue elektrohydraulische Servolenkung ist nicht das Gelbe vom Ei. Mir jedenfalls ist sie zu leichtgängig. Kleine Kritikpunkte an einem Auto, bei dem man als Tester schon fast glücklich ist, überhaupt eine Schwäche zu finden. Vielleicht noch diese: Bei extremen Lastwechseln bricht das Heck aus. Doch mit dem Schleuderschutz ESP (753 Mark) ist auch das kein Thema mehr.

Preise und Kosten

Ja, VW, wir wissen, dass Euer Polo im Vergleich zum Vorgänger aufpreisbereinigt rund vier Prozent billiger geworden ist. Doch 27.235 Mark sind nun mal für einen Polo eine Menge Geld. Auch daran merken wir leider, wie die Zeit vergeht.

Fazit und Zeugnis

Fazit Ohne Fantasie und Visionen geht im Automobilbau nichts. Nur sie können letztlich Staunen, Emotionen und Begierde wecken. Bei den Entwicklern von VW drehen sich die Fantasien um technischen Fortschritt und Perfektion in seiner Umsetzung. Damit versetzten sie uns durchaus in Erstaunen. Denn mit dem neuen Polo hat VW das beste Auto seiner Klasse konstruiert. Geräumig, komfortabel, sicher im Fahrverhalten und erstklassig verarbeitet. Opel Corsa und der neue Ford Fiesta werden sich daran messen lassen müssen. Nur bei den Emotionen hapert es. Scheint fast so, als fehle es VW hier an Fantasie. Oder etwas an Mut?

Punktewertung

Das markante Gesicht des Lupo, das für Kleinwagen üppige Platzangebot eines Golf II und dazu die Kleinwagen-Plattform A0, die bereits im Skoda Fabia mit sicheren Fahreigenschaften und bestem Komfort überzeugte: Was kann da noch schief gehen? Keine Frage, der Polo der vierten Generation ist der fast perfekte Kleinwagen. Fast, denn die leichtgängige Servolenkung vermittelt zu wenig Rückmeldung von der Straße. Und wer für seinen Polo noch das letzte Quäntchen an Sicherheit will, muss für das ESP noch immer extra in die Tasche greifen.