Manchmal sind wir bei AUTO BILD völlig gaga. Da bringen die Autohersteller teure Navigationsgeräte mit Echtzeit-Verkehrsinformationen – und was machen wir? Ignorieren für den ersten Test des neuen VW Passat alle Warnungen des Navis und fahren mit Absicht in den erstbesten Stau. Natürlich nicht, weil wir so gaga sind. Sondern um ein neues Technik-Feature zu testen: den Stauassistenten.
Rettungsgasse bilden: Das richtige Verhalten im Stau

Mit bis zu 60 km/h fährt der Passat autonom

VW Passat
Entspannt die Hände vom Lenkrad nehmen und lesen – vielleicht nicht empfehlenswert, funktioniert aber.
Bis zu 60 Kilometer pro Stunde soll der Passat automatisiert fahren, also den Abstand zum Vordermann selbstständig halten – und sogar lenken. Auch wenn Volkswagen diesen Assistenten erstmals im Passat anbietet, ganz neu ist er nicht. BMW baut ihn bereits in den größeren 5er ein, Mercedes in die neue C-Klasse. Technisch ist der Stauassistent gar nicht so revolutionär. Die Hersteller haben einfach die bekannten Systeme ACC (Abstandsregeltempomat) und Lane Assist (Spurhalteassistent) miteinander kombiniert und auf den niedrigen Geschwindigkeitsbereich eines Staus angepasst. Trotzdem lassen sich BMW, Mercedes und Volkswagen den Stauassistenten fürstlich bezahlen, er ist nur in teuren Paketen erhältlich. Zusätzlich muss immer ein Automatikgetriebe mit an Bord sein. Teuer – aber wenigstens gut?
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Stereosehen ist das große Plus der Mercedes C-Klasse

Mercedes C-Klasse
Die Mercedes C-Klasse tastet ihr Sichtfeld mit einer Stereokamera ab – das hat viele Vorteile.
Beginnen wir mit dem Passat. Im Stau einfach nur einen Knopf links am Lenkrad drücken – schon ist der Assistent aktiv. Oder auch nicht. Denn der Volkswagen braucht lange, bis er die Spur erkennt. Fährt ein Lkw vor dem Passat, ist es sogar möglich, dass der Lenkassistent die Fahrspuren gar nicht erfasst, dann ist nur die Abstandsregelung aktiv. Grund für die verbesserungsfähige Spurerkennung: VW nutzt – anders als Mercedes – nur eine einzelne Kamera in der Frontscheibe, die Auslegung der Regelelektronik ist recht konservativ gewählt. Erst wenn die Kamera über eine bestimmte Strecke und einen bestimmten Zeitraum zweifelsfrei die Spur erkannt hat, arbeitet der Assistent. Und das tut er dann durchaus zufriedenstellend. Das ACC regelt feinfühlig, bremst sensibel ab und beschleunigt ausreichend schnell. Trotzdem bleibt der versprochene Komfortgewinn ein wenig auf der Strecke, der Fahrer muss ständig kontrollieren, ob der neue Passat die Fahrspur auch wirklich erkannt hat.
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Wie es besser geht, zeigt die Mercedes C-Klasse. Die Schwaben nutzen als einziger Hersteller eine Stereo-Kamera in der Frontscheibe. Kann diese nicht zweifelsfrei eine Fahrspur erkennen, orientiert sich der Benz am Vordermann. In der Praxis klappt das erstaunlich gut und völlig zuverlässig. Über mehrere Kilometer kann man sich in der C-Klasse problemlos und vor allem entspannt automatisiert fahren lassen. Keine Frage, so schön war Stau noch nie.

Das System von BMW lässt sich nur auf der Autobahn nutzen

BMW 5er
Kleine Einschränkung: Im BMW 5er kann der Stauassistent nur auf Autobahnen genutzt werden.
BMW nutzt im 5er im Prinzip die gleiche Technik wie VW – sie wirkt aber ausgereifter. In Situationen, wo der Passat Probleme hatte, eine Fahrspur zu erkennen, funktionierte der Stauassistent im BMW völlig problemlos. Das liegt daran, dass dem BMW zur Not eine Fahrbahnbegrenzung ausreicht – während der VW immer zwei benötigt. Aber auch die Limousine aus Bayern kommt schneller an ihre Grenzen als die Mercedes C-Klasse, die völlig verdient diesen Test gewinnt. Wer jetzt denkt, dass die aufwendigere Technik im Benz auch richtig teuer sein muss, wird angenehm überrascht. Zum Basispreis des C 180 von 33.558 Euro kommen noch das Automatikgetriebe für 2499 Euro und die Distronic Plus inklusive Lenkassistent und Stop&Go-Pilot für vergleichsweise schmale 1148 Euro dazu. Beim 518d addieren sich zum Basispreis von 40 100 Euro noch 2250 Euro für das Automatikgetriebe, ein Navigationssystem für mindestens 1840 Euro, Instrumente mit erweiterten Umfängen für 150 Euro und der Driving Assistant Plus für 1990 Euro. Macht insgesamt 6230 Euro Aufpreis, um den Stauassistenten im Auto zu haben.
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Aber es geht noch teurer. Im Passat 1.6 TDI (ab 28.450 Euro) summiert sich die Zwangsausstattung fast auf den Wert eines Up. Neben dem notwendigen Automatikgetriebe (2200 Euro) und dem im Fahrerassistenz-Paket Plus (2850 Euro) enthaltenen Stauassistenten müssen Käufer auch noch die Comfortline-Ausstattung für 2400 Euro bestellen. Macht unterm Strich 7450 Euro Aufpreis – der billigste Passat mit Stauassistent kostet so 35.900 Euro. So teuer war Stau noch nie ...

Fazit

von

Stefan Voswinkel
Lange bevor wir autonom fahren werden, kombinieren unsere Hersteller bekannte Technik und bringen mit dem Stauassistenten schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf den zu erwartenden Komfortgewinn. Schließlich gibt es wohl niemanden, der gern im Stau stop-and-go fährt. Aber das Ganze hat auch eine Schattenseite: Die Aufpreispolitik geht meilenweit an der Realität vorbei. Wer wie Volkswagen Ausstattung im Wert von 7450 Euro oder wie BMW im Wert von 6230 Euro an den Assistenten koppelt, sollte sich nicht wundern, wenn diese Top-Technik viel zu wenig gekauft wird. Wie es anders geht, zeigt Mercedes. Dort muss einfach ein technisch notwendiges Automatikgetriebe (2499 Euro) mit dem Assistenten für 1148 Euro bestellt werden. Fertig – und akzeptabel!

Von

Stefan Voswinkel