Sehr schlechtes bis kritisches Fahrverhalten

"Mann, bei einigen Modellen mache ich mir fast in die Hose!" Der das sagt ist einer, den so leicht nichts erschrecken kann. Dierk Möller-Sonntag sitzt für AUTO BILD bei allen wichtigen Fahrversuchen am Steuer. Er ist unser Profi für die ganz schnellen Autos und besonders heiklen Fälle. Immer wenn es brenzlig wird, muß Dierk ran. Und ausgerechnet diesem ausgebufften Profi steht der Schweiß auf der Stirn. Vor allem nach dem Elchtest mit dem Renault Kangoo.

Spektakulär schleudert der französische Kastenwagen auf zwei Rädern durch die Pylonen. "Nur einen Tick schneller, und er wäre umgekippt", so Möller-Sonntag. Entsprechend eindeutig sein Urteil: "Absolut gefährlich, der braucht unbedingt ESP."

Aber nicht nur der. Neun Kleinwagen ohne Elektronisches Stabilitäts Programm mußten sich einer umfangreichen Testreihe unterziehen. Nur drei verhielten sich unauffällig. Sechs zeigten schlechtes bis sehr kritisches Fahrverhalten. Ein alarmierendes Ergebnis. Ohne ESP können vor allem diese Modelle lebensgefährlich werden. Zum gleichen Ergebnis kommen wissenschaftliche Studien. Nach einer VW-Untersuchung reduziert das ESP Schleuderunfälle um 80 Prozent. Bei Alleinunfällen mit Getöteten beträgt der Rückgang 35, in den USA sogar 56 Prozent. "Darum sollte ESP unbedingt zur Serienausstattung bei allen Autos werden", fordert Susan Ferguson vom amerikanischen Insurance Institute for Highway Safety. Ähnliche Stimmen werden auch in Deutschland lauter.

Falsche Beratung durch Verkäufer

Trotzdem ist das System für viele Modelle noch nicht lieferbar. Lediglich 20 Prozent aller Kleinwagen sind in Deutschland serienmäßig mit ESP ausgerüstet. Und selbst wenn es optional erhältlich ist, beträgt die Bestellrate in diesem Segment nur etwa zehn Prozent. Viele Kunden werden im Ausstellungsraum einfach falsch beraten. Das brachten Händlertests an den Tag. Selbst Verkäufer wissen oft nicht, was ESP bringt, und verkaufen lieber Metallic-Lack oder Alu-Räder. Bevor sich Käufer dafür entscheiden, solten sie sich diese Videos von Bosch ansehen.

Nach einer repräsentativen Umfrage unter deutschen Autofahrern kennen ESP weniger als die Hälfte. Oft wird das System nur in teuren Paketen angeboten. Warum ist der Schleuderschutz bei einigen Marken nur in Verbindung mit Leichtmetallrädern erhältlich? Zu einer Glasbruchversicherung muß man ja auch nicht zwangsläufig einen Lippenstift nehmen. Es zeugt nicht vom Sicherheitsbewußtsein der Hersteller, daß ESP als Abwähloption in ihren Preislisten stand. Wer es abbestellte, bekam Preisnachlaß. Viel sinnvoller wäre, ESP serienmäßig anzubieten: auch und gerade in Kleinwagen. Denn sie haben es besonders nötig, das belegt dieser Test eindrucksvoll.

Bei der Einführung des Antiblockiersystems (ABS) zeigten die Autobauer, wie es gehen kann. Seit Juli 2004 existiert eine Selbstverpflichtung des europäischen Herstellerverbandes ACEA, keine Autos mehr ohne ABS anzubieten. Das klappt, und der Schritt zum Serien-ESP für alle Klassen ist damit nicht weit. Das ABS-Modul muß im Prizip nur um Sensoren und eine Hydraulikeinheit erweitert werden. Beim Marktführer Bosch kostet die entsprechende Hardware unter 100 Euro. Das Argument "zu teuer" gilt darum nicht, auch wenn die Abstimmung recht aufwendig ist. Als Standardausrüstung sollte es nur eine minimale Preiskorrektur verursachen.

Wichtiger als Airbags und Aufprallschutz

So wäre es mit serienmäßigem ESP möglich, sichere Kleinwagen auch zum kleinen Preis anzubieten. Denn das ESP hilft viel mehr als passive Sicherheitsmerkmale wie Airbags, aktive Kopfstützen oder Seitenaufprallschutz – weil es mögliche Unfälle aktiv verhindert. Müssen wir plötzlich einem Hindernis ausweichen oder sind in einer Kurve zu schnell, bremst uns die Elektronik ein, bringt das Fahrzeug auf sicheren Kurs zurück. Aber auch konstruktive Fahrwerkschwächen kann das ESP korrigieren – indem es rechtzeitig die Notbremse zieht. Und darum geht es hier.

Insgesamt vier Testdisziplinen simulieren gefährliche Fahrsituationen. Jede Übung, bis auf den ISO-Spurwechsel, wurde leer und beladen absolviert. Eingestuft werden die Modelle in gut, mittel und schlecht. Fiel ein Prüfling bei nur einer Übung negativ auf, zeigt in der Gesamtnote der Daumen nach unten. Nur für jene Autos, die alle Übungen mit ausreichender Stabilität durchfuhren, weist der Daumen nach oben. Für diese Kandidaten gilt: Ihre kritische Tempogrenze liegt zwar höher, doch wenn sie jenseits ihres Limits in eine Kurve fahren, können auch sie unkontrollierbar ausbrechen. Darum ist auch für diese Modelle ESP notwendig.

Trotz des Sicherheitsgewinns darf aber nicht vergessen werden: ESP kann die Physik nicht überlisten. Fährt ein Auto viel zu schnell in eine Kurve, hilft kein ESP. Denn wenn die Reifen nicht mehr greifen, ist auch die Elektronik machtlos. Dann hilft nur noch ein Schutzengel.

Fazit: "ESP ist ein Muß!"

Fazit von AUTO BILD-Testredakteur Jörg Maltzan: "ESP? Hat er nicht, braucht er nicht." Diese Antwort hören leider zu viele Kleinwagenkäufer. In der Golf-Klasse nahezu Standard, verzichtet das Gros der Hersteller im Segment darunter auf den serienmäßigen ESP-Einbau. Ihre Begründung: Zu teuer, Kleinwagen sind sehr preissensibel und müssen bezahlbar bleiben.

Da klatsche ich natürlich Beifall. Aber das Kostenargument stimmt so nicht. Nur die ESP-Entwicklung für ein neues Modell ist zeitaufwendig und teuer. Da es für etliche Modelle als Option in den Preislisten steht, haben die Ingenieure diese Arbeit erledigt und der Einbau ist für weniger als 100 Euro möglich. Warum muß es dann 500 Euro Aufpreis kosten oder in noch teureren Paketen angeboten werden?

Ich sage es klipp und klar: Mit dem Leben seiner Kunden spielt man nicht. Genau das ist aber der Fall, wenn man mit einigen der neun getesteten Modelle in eine kritische Situation kommt. Der Kangoo steigt bedrohlich auf, fährt auf zwei Rädern und fällt fast um. Der Lacetti wird zur bösartigen Heckschleuder, und auch C2 und 107 zeigen sehr gefährliche Schleudertendenzen.

Bei Klein- und Kastenwagen macht die Elektronik-Fahrhilfe besonders viel Sinn. Schließlich haben die Winzlinge im Crashfall wenig Masse und nur kleine Knautschzonen zu bieten. Außerdem werden die Einstiegsmodelle gern von Fahranfängern bewegt. Darum ist es wichtig, daß es gar nicht erst zu kritischen Situationen kommt. Exakt dafür sorgt ESP. Aber nicht nur die Wackelkandidaten brauchen es dringend. Auch die weniger kritischen Modelle werden mit dem elektronischen Rettungsring sicherer. Das System ist mindestens ebenso wichtig wie Sicherheitsgurt, Airbag oder Kopfstützen. Darum fordert AUTO BILD: ESP ist heute Stand der Technik und gehört genauso wie ABS in alle neuen Autos. Und zwar nicht als Option, sondern als Serienausstattung zum Grundpreis. Das würde auch die Verkäufer entlasten. Was ein Modell ohnehin an Bord hat, muß man nicht erst erklären.

Das sagen die Hersteller



Reinhard Zirpel, Renault Deutschland: "Bei vielen internen und externen Tests hat der Kangoo ein problemloses Fahrverhalten gezeigt. ESP ist darum derzeit nicht vorgesehen."

Günther Sommerlad, Chevrolet Deutschland: "ESP ist eine sinnvolle Ergänzung in extremen Situationen. Darum führen wir das System nach und nach ein. Zum Beispiel im neuen Chevrolet Captiva und im Sommer nächsten Jahres im Epica."

Thomas Albrecht, Citroën Deutschland: "Wir erkennen die steigende Bedeutung von ESP. Aber es hat seinen Preis. Der Kunde soll darum selbst entscheiden, ob es zur Ausstattung gehört oder nicht."

Thomas F. Schalberger, Peugeot Deutschland: "Bei Kleinstwagen ist ESP die Ausnahme, da sie meist in der Stadt bewegt werden. Wir prüfen, ob ESP künftig im 107 angeboten wird."

Uwe Baumgarten, Ford Deutschland: "Bereits das Basisfahrwerk des Ford Fusion bietet eine ausgezeichnete Fahrsicherheit. Darüber hinaus bieten wir ESP zu einem attraktiven Preis an und überlassen es dem Kunden, ob er diese Art Wunschausstattung zusätzlich haben möchte."



So funktioniert das ESP

Das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) gibt es bereits seit März 1995. Seinen Siegeszug startete es nach dem Umfallen der Mercedes A-Klasse. Das System nutzt die Raddrehzahlfühler des ABS. Zusätzlich verfügt es über ein eigenes Steuergerät und über Sensoren, die Lenkwinkel, Gierraten (Drehung um die Hochachse) und Querbeschleunigung registrieren. Anders als ABS hat die Hydraulikeinheit zwölf statt vier Ventile und kann selbsttätig Bremsdruck aufbauen.

Meldet die Sensorik eine bedrohliche Fahrsituation, kann ESP jedes einzelne Rad individuell abbremsen, um das Auto in der Spur zu halten. Außerdem kann es auch in Motor und Lenkung eingreifen.

ESP erkennt kritische Fahrzustände früher als der Fahrer. Bei der Abstimmung des ESP folgt jeder Hersteller einer eigenen Philosophie – vom heftig-vorsorglichen Eingriff (Mercedes) bis zur zaghaften Auslegung, die kleine Driftwinkel zuläßt (Porsche). Manche ESP sind deaktivierbar (BMW), andere überhaupt nicht (Opel), wieder andere schalten sich ab 50 km/h automatisch wieder zu (Renault). ESP ist auch unter Namen wie Dynamic Stability Control (DSC, BMW) oder Porsche Stabilty Management (PSM, Porsche) bekannt.

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