Erlkönige sind die heiligen Kühe der Autobauer. Fotografieren unerwünscht. Und damit fahren sowieso. Ausnahmen gibt es. Wenn auch selten. Der BMW X1 ist so ein Ausreißer. Nicht ohne Grund. Die Bayern blasen zur Allrad-Attacke. Es gilt, den Vorsprung der Konkurrenz zu minimieren. 2008 haben Audi und VW die X-Familie von BMW nämlich wieder auf den dritten Platz im Allrad-Verkaufsranking abgedrängt. Der perfekte Zeitpunkt also, um neugierigen Autoschreibern einen Blick auf die Zukunft der X-Familie zu gewähren. Gleich drei neue Modelle mit dem X im Namen, sollen sich 2009 durchs Unterholz wühlen. Neben dem neuen BMW X1 reifen in den bayerischen Ingenieursstuben der Hybrid-Ableger des X6 und der Allrad-7er.

In Rovaniemi treffen Autotester auf den Weihnachtsmann

BMW xDrive Finnland
autobild.de war mit den Prototypen der neuen X-Modelle unterwegs. Wo? Im finnischen Rovaniemi, wo um diese Jahreszeit nicht nur reichlich Schnee liegt, sondern auch der Weihnachtsmann Hof hält. Letzteres hat allradtechnisch zwar keine Relevanz, sorgt aber für klingelnde Kassen. Denn Santa Claus wohnt nicht nur in Lappland, er hat sich auch ein kitschig-schönes Weihnachtsmanndorf eingerichtet – mit allem, was dazu gehört: Restaurants, Rentiere, Souvenir-Shops und quietschbunter Weihnachts-Firlefanz. Der Mann muss ja schließlich auch von was leben. Wer nicht in Diensten des Rauschebarts oder von ihm direkt profitierender Tourismus- und Dienstleistungs-Betriebe steht, kümmert sich um die zweite Kategorie von Fremden, die es Jahr für Jahr in den finnischen Winter zieht: Auto-Tester. Einige Kilometer außerhalb von Rovaniemi liegt das Arctic Driving Center – ein riesiges Testgelände, auf dem Entwicklungsingenieure mit Prototypen so ziemlich alles anstellen können, was ihnen in Sachen Winter auf dem Herzen liegt.

Der BMW X1 ist flach, aber nicht viel kleiner als ein X3

BMW xDrive Finnland
Der perfekte Ort also, um mal einen Blick auf die Zukunft der BMW-X-Familie zu werfen. Den X1 zum Beispiel. Auf der Paris Motor Show 2008 stand der Allrad-Filius noch mit dem Zusatz Concept in einer Ecke des BMW-Messestands – ohne allerdings wie ein aufgebrezeltes Zukunftsauto auszusehen. Das war er auch schlicht nicht. Der X1 wird ab Herbst 2009 ziemlich genau so von den Bändern des BMW-Werks in Leipzig rollen, wie er in Paris zu sehen war. Das würde so natürlich kein BMW-Verantwortlicher bestätigen. Muss auch gar nicht sein. Ein Blick auf den getarnten Prototypen, mit dem autobild.de in Finnland unterwegs war, beantwortet die allermeisten Fragen. Flach wirkt er, der kleine X. Eher wie ein 3er Touring allroad. Damit verwischen die BMW-Designer geschickt die klassischen Proportionen einen SUV und lassen den X1 kleiner wirken, als er tatsächlich ist. In der Praxis ist er nämlich nur elf Zentimeter kürzer als ein X3. Das merkt man vor allem beim Platzangebot im Cockpit. Zwar fehlen im Vergleich zum X3 ein paar Zentimeter über der Frisur – eingezwängt fühlt man sich dennoch nicht. Das mag daran liegen, dass die BMW-Entwickler bei der Einrichtung des Arbeitsbereiches auf Vertrautes zurückgegriffen haben.

Bekanntes Cockpit

Das Grundlayout des Cockpits stammt vom 1er, das Lenkrad vom 1er Coupé, der große Navi-Bildschirm aus dem 3er, die Lenkstockhebel aus dem X6, der neuste iDrive-Knubbel aus dem 7er und der Knopf für die Bergabfahrhilfe aus dem X3. Auch dazu gibt es von BMW offiziell keinen Kommentar – gegen einen Blick unter die Stoffhülle des X1-Cockpits hatte vor Ort allerdings niemand etwas einzuwenden. Auch nicht dagegen, das sündhaft teure Einzelstück ein wenig zügiger über den verharschten Schnee zu scheuchen. Leistungsmäßig kein Problem. In unserem X1-Protoyp knurrte ein drei Liter großer Benziner, der mit seinen 272 PS schon im 1er ordentlich Betrieb macht. Für die Übertragung der Kraft vom Motor zum xDrive-Antrieb (Kraftverteilung 40:60) sorgt eine Sechsgang-Automatik, die auch für das Serienmodell verfügbar sein wird. Mit Blick auf den Flottenverbrauch hoffen die BMW-Strategen aber, dass vor allem die Vierzylindermodelle (20i, 20d) Freunde finden werden – wie beim X3 schon seit Jahren der Fall.

Der X1 ist im Schnee so agil wie ein 3er Touring mit Allradantrieb

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Beim Tanz auf dem Eis zeigt sich, dass der X1 nicht nur ein bisschen anders aussieht als ein klassisches SUV, sondern sich auch anders fährt. Wo X3 oder gar X5 mit viel Gas und Engagement durch die Pylonen gepresst werden wollen, fräst der X1 souverän durch den Schnee. Ähnlich agil kann das auch der 3er Touring mit Allrad. Wichtigster Unterschied: die leicht erhöhte Sitzposition. Das passt auch technisch. Denn unter der wilden Disco-Inferno-Tarnung steckt viel mehr von 1er und 3er als vom X3. Ob das reicht, dem erwartungsgemäß an die Spitze des Segments geeilten VW Tiguan Paroli zu bieten, wird sich ab Herbst 2009 zeigen. Dann soll der X1 in Leipzig vom Band rollen.

Der Allrad-7er fährt sich fast wie ein Hecktriebler

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Die Musik im Konzert der Luxusallradler spielte bislang ohne BMW-Beteiligung. Das ist ab der zweiten Jahreshälfte 2009 vorbei. Dann wird auch der neuer 7er ein Mitglied der X-Familie. Wirklich überraschend kommt diese Entwicklung nicht. Wohl aber ein Detail, mit dem die Bayern ihren Allraddampfer von der Konkurrenz abheben wollen. Statt mit der üblichen Kraftverteilung von 40:60 (vorne:hinten) werden beim Allrad-7er im Normalzustand voraussichtlich 70 Prozent der Kraft an die Hinterachse dirigiert. Das soll dem Dickschiff seine Agilität bewahren – ohne die Souveränität des Allradantriebs einzubüßen. In der Praxis funktioniert das schon ganz gut. Unser 750i-Prototyp war im Schnee keinem Drift abgeneigt – wühlte sich aber in Serpentinen oder auf Eis in souveräner Allradmanier voran. Der xDrive-Antrieb soll pünktlich zur IAA 2009 für Normal- und Langversion des 7ers zur Verfügung stehen, als Diesel und Benziner. Außen vor bleiben lediglich die jeweiligen Basismotoren.

Auch mit 200 Kilo Übergewicht ist der X6-Hybrid ein heißer Feger

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Dritter im Bunde der neuen X-Ableger ist der X6 ActiveHybrid. Mit vollem Namen heißt das imposante Allrad-Coupé BMW X6 xDrive 50i Hybrid – dem Elektro-Antrieb steht also ein über 400 PS starker Achtzylinder zur Seite. Wer mit dem großen Stromer auf Tour will, muss allerdings hinten sitzen. Ans Steuer dürfen nur Ingenieure – auf der Beifahrerseite sitzt Kollege Computer. Der hat jedes Detail des Hybridsystems im Blick, das dem X6 gut 200 Kilo Mehrgewicht beschert. Die Blei-Akkus sitzen im doppelten Kofferraumboden. Dennoch soll es unterm Strich für 15 Prozent weniger Verbrauch reichen – bei sportlichen Fahrleistungen. Genaue Leistungsdaten? Noch geheim. Für einen gepflegten Drift war allerdings auch der Prototyp jederzeit zu haben. Der X6 ActiveHybrid wird 2009 zunächst in Amerika zu haben sein. Die Europäer sind erst Ende des Jahres dran.

Für den Weihnachtsmann wäre so X-Allradler keine schlechte Wahl. Im Dienst fährt Santa Claus allerdings weiterhin einen offenen Rentierschlitten. Da passen einfach mehr Geschenke rein. Und mit der richtigen Menge Glühwein lässt sich auch die Kälte aushalten.

Von

Jochen Knecht