Glückwunsch! Deutschland bekommt einen neuen Sportwagen. Zwei Sitze, 270 km/h Spitze. Braucht kein Mensch, ist der erste Gedanke, gibt ja schon ein paar dieser Art, aber dann steht der Neue so unverschämt schön vor dir, dass die Gedanken eine Rolle rückwärts machen: Den brauchen wir doch und zwar ganz schnell. Das 74.983 Euro teure Ding ist einfach rattenscharf. Auch wenn es aus Delbrück bei Paderborn kommt. Das liegt in Ostwestfalen, einer Gegend, die sonst höchstens bekannt ist für die Herstellung von Küchenschränken und Puddingpulver. Delbrück muss sich aber nicht schämen. Rüsselsheim, Zuffenhausen, Untertürkheim klingen auch nicht gerade wie Maranello.
Artega hört sich dagegen kaum schlechter an als Ferrari. Markennamen-Guru Manfred Gotta (Megaperls, Actros, Avantime, Cayenne) hat der neuen Firma den Namen Artega zugedacht. GT heißt ihr erstes Modell, und das ist gleichzeitig Programm. Gran Turismo bedeutet auf Italienisch große Reise. Hinter den Sitzen ist Platz für zwei Koffer, im Bug befindet sich ein zweites Abteil für eine Reisetasche. Das Triebwerk sitzt auf der Hinterachse. Damit ist der GT eher Heck- als Mittelmotorwagen.

Der Motor des Artega kommt von Volkswagen

Artega GT
Kurze Überhänge, niedriger Aufbau und die Länge von nur 4,01 Meter sorgen für geballte Dynamik.
Es handelt sich um den 3,6-Liter-V6-Direkteinspritzer von Volkswagen mit 300 PS wie im Passat CC, der eigentlich ein VR6, ergo ein handliches Paket ist, ideal für den kompakten Artega. Auch das Sechsgang-DSG-Getriebe passt dazu. Schaltbar mit Paddeln am Lenkrad, oder man faulenzt im Automatikmodus. Der Verzicht auf Tuningmaßnahmen lässt auf lange Lebensdauer und unproblematischen Alltag schließen. Da die 300 PS auf nur 1100 Kilogramm Gewicht treffen, sind dennoch höchst erfreuliche Fahrleistungen möglich. Aus dem Stand bis Tempo 100 geht er schneller als fünf Sekunden.

Artega-Motto: kurz, breit, flach. So fährt der Renner

Der Kopf des Projekts heißt Klaus Dieter Frers, ein dynamischer Selfmade-Unternehmer, der den heute brummenden Hightech-Zulieferer Paragon (110 Millionen Euro Umsatz) gegründet hat und heute als Hauptaktionär steuert. Der 55-Jährige hat nebenher das Konzept des Artega entwickelt. Es lautet: kurz, breit, flach, leicht, 500 Stück pro Jahr, eigene industrielle Produktion. Betörend sollte der Artega sein. Frers schaute sich daher um, welche Sportwagen ihm gefallen. Er stieß auf den BMW Z8 und auf ein paar Aston-Martin-Modelle. Alle wurden von Henrik Fisker entworfen, und der verließ – welch Glücksfall – punktgenau zum Artega-Startschuss Aston Martin in Richtung Selbstständigkeit. Auf dem Genfer Salon 2006 unterschrieben sie den Vertrag. Vier Entwürfe lieferte Fisker. Als die per Kurier eintrafen, schloss sich Frers ins Büro ein, hängte sie an die Wand und schaute sie sehr lange an. Dann kombinierte er einen Entwurf mit dem Heck eines anderen, Fisker fand die Komposition gut, und so steht der GT nun da.
Artega GT Cockpit
In der körpernahen Kanzel des Artega kommen sofort Sportwagen-Gefühle auf.
Kurz wie ein Fabia, breit wie eine S-Klasse, flach wie ein Gallardo. Gedrungen, kompakt, kraftvoll, organisch, kurvig. Ein rollender Bizeps. Seine Schokoladenseite hat er überall. Die Fabrik steht schon, nagelneu, spektakulär, Schwarz mit Rot auf grüner Wiese, davor ein Verkaufsglasbau in Form des Lufteinlasses des GT. Adresse: Artegastraße 1. Nein, Artega wirkt nicht wie eine Hinterhofklitsche. Auch die Fachkräfte sind seriös. Karl-Heinz Kalbfell ist Berater und zuständig für den Aufbau von Vertrieb und Marketing. Kalbfell, das Auto-Urgestein. Ein Vierteljahrhundert BMW, dann Chef von Rolls-Royce, von Alfa Romeo, von Maserati. Er kennt sich mit vornehmen Marken aus. Den Prototyp baute Hardy Essig, ehemals Porsche, Chefkonstrukteur ist Jens Janczyk, ehemals BMW, dann Ingenieur bei einem Kleinhersteller. Der Rest der Mannschaft arbeitete zuvor für Bugatti, Porsche, Lamborghini. Die Fabrikplanung stammt von der Firma, die auch das Rolls-Royce-Werk konzipierte. Entwickelt wird wie in der Autoindustrie an CAD-Workstations.

Erstes Serienauto der Welt mit Polyurethankarosserie

Man kaufte jedoch auch Kompetenz ein. Die Motoranpassung machte das Ingenieurbüro IAV, eine 50-Prozent-Tochter von VW. ABS und ESP (beides neueste Versionen) stimmten Bosch-Ingenieure ab, das Fahrwerk Bilstein- und Eibach- Experten. Die Uni Stuttgart bekam den Auftrag für Windkanalversuche. Getestet wurde auf den Prüfgeländen in Boxberg und Papenburg. Selbst Crashtests wurden und werden noch gemacht. Vier GT will Frers opfern, obwohl er das als Kleinserienhersteller gar nicht müsste. Der Artega GT ist das erste Serienauto der Welt mit einer kompletten Polyurethankarosserie, partiell kohlefaserverstärkt. Der Vorteil des Materials ist seine Eignung für industrielle Fertigung. Das ist Frers wichtig: auf Augenhöhe mit der Autoindustrie, keine Manufaktur mit umständlicher Handarbeit und schwankender Qualität je nach Schieflage des Haussegens bei den Mitarbeitern daheim. Wenn die Fabrik in vollem Schwung ist, werden 30 Leute in der Produktion arbeiten.

Der Bildschirm zeigt, was der Fahrer wünscht

Anlass für den Bau des Artega ist die Schwesterfirma Paragon mit ihren intelligenten Innenraumsystemen. Der GT soll der Showroom sein für die Kompetenz von Paragon (siehe Interview, S. 85). Zum Beispiel Uhr und Stoppuhr im Armaturenbrett, ähnlich wie beim Porsche Carrera (auch von Paragon). Oder das elegante Zentralinstrument, bei dem die Zeiger von Tacho und Drehzahlmesser auf einer Achse liegen. Es ist umrandet von einem Bildschirm, auf den sich die weiteren Instrumente nach Wahl einblenden lassen, darunter zwei G-Force-Displays, die Quer- beziehungsweise Bremskräfte anzeigen. Zudem gibt es einen Navigationsbildschirm im Rückspiegel, schließlich die sogenannte Head-Unit, einen großen Bildschirm auf der Mittelkonsole für Klimaanlage, Bordcomputer und CD-Radio, der mit nur wenigen Sensortasten gesteuert wird. Und Ironie findet sich auch: Die Fensterheberschalter sehen aus wie Kurbeln.
Bernhard Schmidt
Auto Bild-Redakteur Bernhard Schmidt zweifelt nicht an der Kokurrenzfähigkeit des Artega.
Fazit von Bernhard Schmidt: Wenn der Artega GT auch nur halb so dynamisch um die Ecken pfeift, wie er aussieht, dann stehen uns rosige, BMW und Porsche allerdings eher schwere Zeiten ins Haus. Und ganz ehrlich: Was wir bei Artega gesehen haben, lässt uns nicht einen Moment an der Konkurrenzfähigkeit des GT zweifeln. Wir freuen uns schon jetzt auf die erste Ausfahrt. 
Klaus Dieter Frers
Klaus Dieter Frers hat den Autozulieferer Paragon 1988 gegründet und ist Artega-Chef.
Kurzinterview mit Klaus Dieter Frers (Artega-Chef): Herr Frers, warum wurden Sie Autohersteller? Der Autozulieferer Paragon, den ich vor 20 Jahren gegründet hatte, ist inzwischen in der Lage, immer komplexere Systeme herzustellen. Am Anfang waren es kleine Sensoren, inzwischen sind es ganze Bediensysteme, Kombi-Instrumente und Navigation. Es kann aber sehr lange dauern, bis ein Autohersteller uns als Lieferant für so etwas akzeptiert. Was kann man da machen? Abwarten? Werbung schalten? Oder Vertrauen gewinnen, indem man ein herausragendes Projekt erschafft.
Genügt nicht ein Show-Fahrzeug?
Andere Zulieferer machen das. Aber gerade ein industriell gefertigtes Serienfahrzeug ist wichtig, um ernst genommen zu werden.
Fortan hatten Sie schlaflose Nächte?
Nein, nein. Das war alles wohlkalkuliert.
Warum heißt das Auto eigentlich Artega und nicht Paragon?
Paragon hat 600 Mitarbeiter und macht über 100 Millionen Euro Umsatz. All das will man nicht durch so ein Projekt gefährden. Die beiden Firmen sind also komplett getrennt. Paragon ist schließlich eine AG, und die Aktionäre sind daran interessiert, dass sich der Vorstandsvorsitzende im Wesentlichen darum kümmert. Wir glauben aber fest an den Erfolg von Artega.
Die Bank auch, die das Ganze finanziert?
Ich musste erhebliche Überzeugungsarbeit leisten. Das "Ja" der Bank war der Ritterschlag für das Projekt.
Wie viel wurde investiert?
Etwa 20 Millionen Euro.
Karl-Heinz Kalbfell
Karl-Heinz Kalbfell berät Artega und ist Experte für Premium-Automarken.
Kurzinterview mit Karl-Heinz Kalbfell, Berater und Experte für Premium-Automarken: Herr Kalbfell, warum wollen Sie nach so vielen Jahren in der Autoindustrie noch einmal beim Aufbau einer unbekannten Marke helfen? Karl-Heinz Kalbfell: Ich wollte nichts mehr machen, was mit viel Bürokratie zu tun hat. Es sollte Spaß bereiten. So habe ich mich noch mal überreden lassen. Bei Artega haben mich außerdem zwei Dinge überzeugt: die Persönlichkeit von Herrn Frers und das Konzept. Das Package des Fahrzeugs war faszinierend, dazu Leichtbau.
Wer ist die Zielgruppe? Leute, die innovativ sind und sich selbst darstellen wollen sowie Leute, die sich ein Auto zwischen 70 000 und 100 000 Euro leisten können und denen das Angebot der Großen nicht mehr exklusiv genug ist.
Wie groß wird das Händlernetz?
Das Werk ist hier, damit liegt die Urmutter allen Vertriebs in Westfalen. Dann wird es in Deutschland sechs erfahrene, große Händler geben, einige sind aus dem VW-Konzern, andere sonstige Premium-Händler. Wir werden auch ins umliegende Ausland gehen, später auch nach Übersee.
Wie viele Artega sind schon bestellt?
Die Resonanz ist riesig. Nach den Vorbestellungen der Händler könnten wir mehr verkaufen, als wir in den nächsten 15 Monaten bauen werden.

Technische Daten Artega GT Coupé

Zweisitziges Coupé, Kunststoffkarosserie • Chassis: Gitterrohrrahmen aus hochfestem Stahl im Heck, Spaceframe aus Alu-Strangpressprofilen vorn • Antrieb: V6 über der Hinterachse, 3597 ccm, Leistung 220 kW (300 PS) bei 6600/min, max. Drehmoment 350 Nm bei 2400/min, 6-Gang-DSG, Hinterradantrieb • Einzelradaufhängung mit Doppelquerlenkern, vier Scheibenbremsen, Reifen 285-30 R 19 hinten und 235-35 R 19 vorn • Abmessungen (Länge/Breite/Höhe): 4010/1880/1180 mm • Leergewicht: 1100 Kilo • Tankinhalt: 68 Liter (auf Wunsch 80 Liter) • Fahrleistungen: 0–100 km/h unter fünf Sekunden, Spitze über 270 km/h • Produktionsbeginn: Juli 2008 • Preis: 74.983 Euro