Opel steht im Brennpunkt wie nie zuvor. Es geht um Geld, eine kranke Mutter und Angst in vielen Herzen. Keine schöne Zeit für ein neues Modell. Kann man den Insignia in dieser aufgewühlten Stimmung überhaupt objektiv und für sich allein betrachten? Ja. Ganz klar und eindeutig: Ja, wir können das. Wenn Opels neues Topmodell jetzt bei den Händlern vorfährt, dann geht es nicht um Schulden und Staatsknete, sondern nur ums Auto – und darum, wo der neue große Opel steht. Als Maßstab dienen die Besten aus zwei Klassen, der Audi A4 und der BMW 5er. Hält der Insignia mit der Finesse des frontgetriebenen Audi und dem Sport-Appeal des Bayern mit?

Der Blick des Betrachters bleibt länger auf dem neuen Opel hängen

Optisch durchaus. Den Opel kann man sich anschauen, lang und länger, bis man sich beim Studieren ertappt: Diese Linie, diese Lichtkanten ... – gutes Zeichen. Schon der Viertürer mit dem dynamischen Dach hat so viel Coupé-Ähnlichkeit, dass selbst Verkäufer ihn kaum vom täuschend ähnlichen Fünftürer unterscheiden können (kleiner Tipp: Insider gucken nach dem Heckscheibenwischer. Hat er einen, dann ist’s ein Fünftürer). Nachteil: Das flache Dach und der sportliche Türausschnitt sind nichts für Schwiegermütter, die hinten nicht mehr so gern einsteigen wie früher in den Vectra. Überhaupt geht es eng zu im Insignia-Fond, so eng wie im kürzeren A4, echte Taxi-Klasse hat erst der 5er. Der tiefe Opel-Kofferraum (500 Liter) bietet serienmäßig umlegbare Rücksitzlehnen, aber die Ladeöffnung fällt viel zu klein aus. Und in den schlanken Außenspiegeln sieht man zu wenig.

Der Insignia lässt seinen Vorgänger Vectra ganz alt aussehen

Opel Insignia 2.0 Turbo Edition
Ein schönerer Anblick sind die engen Spaltmaße, die zeigen, dass Opel viel Geld und Gehirnschmalz investiert hat, um den Insignia eine Klasse besser aussehen zu lassen. Matte Kunststoffe, dezenter Chrom, perfekte Sitze – und ein ganz normaler Zündschlüssel samt Schloss! Danke, ihr Entwickler, für den Verzicht auf einen neumodischen Start-Stopp-Knopf. Aber was soll das zweite Tastenfeld zwischen den Sitzen, das genau die gleiche Funktion hat wie die Knöpfe in der Mittelkonsole? "Das ist für die jüngeren Kunden", so die offizielle Auskunft. Da lässt sich Opels Zielgruppen-Dilemma – Väter und Söhne sollen den Insigna gut finden – sogar greifen. Egal, Opel hat gewaltig zugelegt, spätestens jetzt sieht der Vectra steinalt aus. Nur der Audi wirkt in vielen kleinen Details noch hochwertiger, aber der schwebt auch in einer anderen Preisliga.
Zum direkten Vergleich mit dem A4 reizt auch der Zweiliter-Benziner des Opel, der zum ersten Schnuppertest vorfährt. Wie im Audi ein Vierzylinder, ein Turbo und ein stiller Kraftprotz, der höchstens mal mit dem Lader pfeift. Hervorragend gedämmt schieben die 220 PS zu Fahrleistungen, die jeden Diesel (bis auf den versprochenen 190-PS-Selbstzünder) blass aussehen lassen: in 7,6 Sekunden auf Tempo 100, dazu 242 Spitze – der Insignia liefert sich mit dem Audi ein knappes Rennen. Wenn er überhaupt rennen soll, denn diese modernen Turbo-Wunder beherrschen alles zwischen souveränem Reisen und gelegentlichen Adrenalin-Anfällen, die beim Insignia spürbar an den Vorderrädern und in der Lenkung zerren.

Mit seinem Heckantrieb will der BMW der Dynamiker des Trios sein

BMW 525i
Probleme, die der 5er mit seinem Hinterradantrieb nicht kennt. Harmonisch die Lenkung, die Schaltung einen Tick leichtgängiger als das knackige Rasten im Opel. Aber der 525i scheint gefühlte 500 Kilogramm schwerer zu sein als der leichtfüßige Opel (tatsächlich sind es nur 82 Kilogramm). Und sein Motor ist ein Reihensechser mit unerreichten Manieren und langem Atem aus satten drei Litern Hubraum. Doch beim flotten Antritt zwischendurch hat Audis Turbo nicht nur kräftigere Waden, sondern auch weniger Durst. Und: Warum der Opel bei den Normwerten (8,9 Liter) so aus der Rolle fällt, wird bald ein Test klären. Fest steht, dass alle mit ihrer Federung übertreiben. Der straffe A4 zerrt auf Dauer an den Nerven, dem BMW fehlt die Souveränität bei kleinen Stößen. Und auch der Insignia reagiert auf Bodenwellen zu hölzern.
Aber worüber reden wir? Über Autos aus drei Klassen, die so nie wieder aufeinander treffen. Für 32.005 Euro in der Edition-Version gibt Opel seinem Flaggschiff serienmäßig so ziemlich alles mit, was bei den Großen gut und teuer ist: Klimaautomatik, Audio-Anlage, Navi (!), Aluräder und Tempomat. Diesen satten Schub Luxus bieten Audi (gegen reichlich Aufpreis) und BMW (ab 42.200 Euro) auch, aber eben eine ganze Etage höher: für gute 10.000 Euro mehr. Das sind Finanz-Zahlen, über die sie bei Opel in Rüsselsheim sicher gern sprechen werden. Sollen sie auch.

Das Fazit von AUTO BILD-Redakteur Joachim Staat

Glückwunsch, Opel! Der Insignia ist ein attraktives und modernes Auto geworden. Doch er ist weder so geräumig und souverän wie ein BMW 5er noch ausgefeilt wie ein Audi A4. Seine Gegner bleiben Ford Mondeo und VW Passat. Erst dieser Vergleich wird zeigen, wo der Insignia steht.

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Joachim Staat