Ablenkung im Auto: Touchscreens
Schlimmer als Drogen: So gefährlich können Touchscreens sein

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Berührungsempfindliche Bildschirme im Auto können bei der Bedienung kritischer sein als Drogen am Steuer. Unfallforscher und Juristen fordern bei Touchscreens haptische Rückmeldung für elementare Funktionen – per Schalter.
Bild: AUTO BILD
Um 21 Prozent verlängert sich bei Autolenkern die Reaktionszeit unter Cannabiseinfluss, um 46 Prozent beim Telefonieren mit dem Handy am Ohr – und um 57 Prozent beim Bedienen eines Touchdisplays. Zu diesem Ergebnis kommt das britische Forschungsinstitut für Verkehrssicherheit TRL in einer Studie über Ablenkung.
Head-up-Displays im AUTO BILD-Test
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Teils riesige und überladene Bildschirme machen es dem Autofahrer schwer, während der Fahrt schnell wichtige Funktionen einzustellen. Was früher über Knöpfe und Tasten ablief, geschieht heute nach dem Vorbild der Smartphonesteuerung: treffsichere Fingerkuppen und gleichmäßige Wischbewegungen statt zu drehen und zu drücken. Dazu die Suche und Auswahl in verschachtelten Untermenüs (die Gewinner des Connected Car Awards 2022).
Unfallforscher warnt vor langem Blindflug
"Der Fahrer wird gezwungen, sich während der Fahrt auf dem Touchscreen durchzuklicken, um bestimmte Funktionen zu aktivieren", erklärt Unfallforscher Prof. Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen. Dabei gilt es, die Straße im Auge zu behalten: Der Gesetzgeber erlaubt nur eine "an gepasste Blickzuwendung zum Gerät".

"Der Fahrer wird gezwungen, sich auf dem Touchscreen durchzuklicken", warnt Unfallforscher Prof. Michael Schreckenberg.
Bild: dpa / Picture Alliance
Praktisch kaum möglich. "Es sind viele Blicke von bis zu je zwei Sekunden nötig, um beispielsweise die Navigation oder den Bordcomputer zu bedienen", sagt Schreckenberg. Bei Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn bedeutet dies einen Blindflug von jeweils rund 70 Metern.
Spotify-Song bringt 20 Sekunden Ablenkung
Wie sich Smartphones mit ihren Apps im Auto bedienen lassen, untersuchte das TRL. Dabei wurden Google Android Auto und Apple CarPlay mit dem Infotainmentsystem des Fahrzeugs synchronisiert und auf dessen Touchscreen gesteuert. Ergebnis: Bei der Auswahl eines Songs auf Spotify waren die Fahrer bis zu 20 Sekunden abgelenkt, ihre Reaktionsgeschwindigkeit ging um mehr als die Hälfte zurück. Einige kamen von der Fahrspur ab oder unterschritten den Sicherheitsabstand. Die Forscher empfehlen eine Sprachsteuerung – die aber nicht immer vorhanden ist oder oft nur schlecht funktioniert.
Einstellungen im alten Volvo deutlich schneller
Das schwedische Fachblatt "Vi Bilägare" verglich die Touchscreensteuerung in elf neuen Automodellen mit einem bildschirmlosen Volvo V70, Baujahr 2005. Sitzheizung samt Temperatur, Tageskilometerzähler, Instrumentenbeleuchtung und Radio sollten während der Fahrt eingestellt werden. Im V70 schafften die Probanden dies in zehn Sekunden.
Deutlich länger dauerte es mit Bildschirmbedienung: 13,5 Sekunden im Dacia Sandero, 23,5 Sekunden im Tesla Model 3, 29,3 Sekunden im Seat Leon, 30,4 Sekunden im BMW iX. Satte 44 Sekunden tippten die Fahrer im China-SUV MG Marvel R auf dem riesigen 19,4-Zoll-Touchscreen (So geht's auch: BMW-Studie ohne Bildschirme).
Abgelenkter Tesla-Fahrer baut Unfall und klagt
Abgelenkt vom Verkehrsgeschehen war auch der Fahrer eines Tesla in Karlsruhe. Bei Regen wollte er im Untermenü des Touchscreens die Scheibenwischergeschwindigkeit einstellen und verursachte dabei einen Unfall. Der Mann erhielt einen Bußgeldbescheid über 200 Euro sowie einen Monat Fahrverbot.
Denn: Berührungsbildschirme werden in § 23 Straßenverkehrsordnung (StVO) als Beispiel für elektronisches Gerät ausdrücklich genannt. Sie dürfen weder aufgenommen noch gehalten werden, auch "längere Blickabwendungen" sind verboten. Vor Gericht unterlag der Tesla-Fahrer in zweiter Instanz (OLG Karlsruhe, Az. 1Rb 36 Ss 832/19). Begründung der Richter: Der Intervallwischer im Untermenü sei in den Touchscreen eingebaut und bilde mit ihm eine Einheit.
Gesetzgeber sieht keinen Anlass zum Einschreiten
Die Gesetzgebung hält mit der technischen Entwicklung nicht Schritt. Dennoch sieht das Bundesverkehrsministerium "derzeit keine Notwendigkeit, § 23 der StVO zu ändern", ergab eine Anfrage von AUTO BILD.

Bedienungstest: Junge Forscher an der TH Lübeck messen die Blickführung am Bildschirm mittels Eyetracking-Brille.
Bild: Matthias Moetsch
"Die geltenden Regelungen in der Straßenverkehrsordnung sind unklar formuliert", widerspricht Prof. Dieter Müller, Verkehrsjurist und Hochschullehrer bei der Sächsischen Polizei. "Das versteht kein Normalbürger." So würden Autofahrer geradezu angestiftet, Bildschirm und Infotainment zu nutzen.
Umso schlimmer, wenn Autobauer ihre Systeme nach eigenem Gusto kreieren und sich den Erkenntnissen des User-Experience Designs (UX) verschließen. So stellte die Technische Hochschule Lübeck an einem Peugeot 3008 diverse Bedienungsmängel fest und empfahl für oft genutzte Funktionen die Rückkehr zu Schaltern mit haptischer Rückmeldung.

UX/Design-Bedienung beim Peugeot 3008: Wer soll da noch den Durchblick behalten?
Bild: Matthias Moetsch
Die UX-Designer der Hersteller fänden bei der Fahrzeugentwicklung zu wenig Gehör, mutmaßt Prof. Monique Janneck, Direktorin am Institut für Interaktive Systeme an der TH.
Tesla-Tüftler erfindet Nachrüstlösung
Dass klassische Knöpfe kein Rückschritt sind, glaubt auch die fortschrittsorientierte Tesla-Community und greift zur Selbsthilfe: In Norwegen entwickelte ein Tüftler die "Ctrl-Bar" als Nachrüstlösung. Unterm Bildschirm sitzen zwei Drehregler für die Heizung, dazu gibt es vier programmierbare Tasten, die via App ans Internet angebunden sind.
Bluetooth-Freisprecheinrichtungen im AUTO BILD-Test
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Die Begeisterung in der Tesla-Gemeinde ist groß – 25.000 Euro Startkapital veranschlagte der Entwickler für eine Serienproduktion, 67.000 Euro hat er per Crowdfunding bereits eingesammelt. Die "Ctrl Bar" mit Echtzeitsteuerung gibt es fürs Model 3 und Model Y und kostet 249 Euro. Voraussichtliches Lieferdatum: im Sommer.
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