So ein Auto hatten wir noch nie im Dauertest: Der Toyota Prius hat die Kraft der zwei Herzen. Bedeuten Elektro- und Benzinantrieb auch zweifachen Ärger? Die 100.000-km-Bilanz.
Keinerlei Probleme auf 100.000 Kilometern
Vielleicht, eventuell, möglicherweise, kann vorkommen – klare Hinweise klingen wirklich anders. Warum bloß wählt die Bedienungsanleitung des Prius so vorsichtige Worte? "Möglicherweise" läuft der Benzinmotor nicht so, wie er soll. "Eventuell" verursacht die Hybridbatterie im Kofferraum Geräusche. Vielleicht rumort es auch 90 Sekunden nach Abschalten des Hybridsystems noch unter der Motorhaube.
Wir lernen: Der Prius ist halt ein ganz anderes Auto. Eines, das es so zuvor noch nicht gegeben hat. Da formuliert die Bedienungsanleitung eben besonders vorsichtig, und jeder Fahrer nähert sich diesem neuen Fahrzeugkonzept mit einer gewissen Skepsis. So auch wir. Kaum hat der Dauertest des damals 28.200 Euro teuren Toyota Prius HSD Executive begonnen, bringt Testchef Jürgen von Gosen im Bordbuch den Respekt vor dem komplizierten Hybridantrieb auf den Punkt: "Die Antriebstechnik ist schon sehr speziell, eine neue Erfahrung – vorher unbedingt die Betriebsanleitung lesen, um das alles besser zu verstehen." Dafür hatten wir 100.000 Kilometer Zeit – und das schlaue Buch im Handschuhfach dabei.
Doch Skepsis gegenüber dem Hybrid-System erwies sich schnell als unbegründet. Die ebenso komplex wie empfindlich wirkende Technik hat sich im harten AUTO BILD-Dauertest keine Ausfälle geleistet. Das passt zu dem, was wir bislang vom weltweit bereits 700.000-mal gebauten Prius gehört haben. Laut Toyota sind die Garantiekosten die niedrigsten im ganzen Konzern. Auch deutsche Prius-Fahrer scheinen zufrieden zu sein. In unserer Meckerecke Kummerkasten ist jedenfalls noch keiner gelandet. Fehler leistete sich unser Dauertest-Exot in anderen Fächern. Aber dazu später mehr – und zurück zum Hybrid, der Antriebstechnik mit zwei Motoren, einer komplizierten Batterie, viel Elektronik und einem bahnbrechenden Verbrauchsversprechen von 4,3 Liter Super.
Das soll so erreicht werden: Ein Verbrennungsmotor und ein Elektromotor treiben das Auto mit vereinten Kräften an, beim Bremsen wird über einen Generator Energie zurückgewonnen und in einer großen Nickel-Metallhydridbatterie gespeichert. Wenn dieser Akku ordentlich aufgeladen ist, kann sich der Prius auch mal eine kurze Strecke allein und bis zu 50 km/h mit der Kraft des leise surrenden Elektromotors bewegen. Da der Benzinmotor darauf ausgelegt ist, seinen Dienst vorrangig im Verbund mit der Elektromaschine zu verrichten, läuft er überwiegend in einem Lastbereich, der Verbrauch und Abgaswerte senken soll.
"Die Grafiken entfachen den Ehrgeiz, noch sparsamer zu fahren"
Was den Durst angeht, konnte der Japaner sein Versprechen nicht einhalten. Im Durchschnitt der gesamten Distanz konsumierte der 113-PS-Prius 6,9 Liter Superbenzin auf 100 Kilometer. Ein guter Verbrauch,
aber eben keiner vom anderen Stern. Was – zugegeben – auch an uns lag. Viele Autobahnkilometer trieben den Wert hoch. Welches Sparpotenzial tatsächlich im Hybrid steckt, zeigt unser gemessener Minimalverbrauch von 4,2 Litern. Wer also sparen will, kann das durchaus.
Und sparen, das wollen anscheinend viele Prius-Piloten. Man sieht sie auffallend oft besonders behutsam (an der Grenze zum Schleichen) durch den Verkehr rollen. Ein Monitor, auf dem das Wechselspiel zwischen den Antriebsbauteilen sowie Zwischenwerte des Verbrauchs angezeigt werden, verstärkt offenbar den Spareifer noch. Auch bei unseren Kollegen. "Die Grafiken entfachen den Ehrgeiz, noch sparsamer zu fahren", vermerkt Redakteur Jan Meibohm im Bordbuch.
Eher enttäuscht waren die Tester hingegen vom rein elektrischen Betrieb. Er entpuppte sich im Alltag schnell als theoretische Größe. Eigentlich sollte der Elektrobetrieb laut Betriebsanleitung "morgens, in Wohngebieten helfen, Lärm und Abgase zu vermeiden". Das tat er aber selten. Besonders beim Frühstart lief der Benziner erst einmal warm, bevor er dem Elektromotor den Vortritt ließ.
Fahrverhalten, Bedienung, Testwerte
Keinen Zweifel indes gab es bei der Zuverlässigkeit des Systems. Im gesamten Testbetrieb hatte sich der sauber verarbeitete, üppig gelagerte Elektromotor nicht ein einziges Mal überhitzt. Nie kapitulierte die umfangreiche Regel-Elektronik. Und die hinter dem Rücksitz montierten Batterien zeigten dank intelligenter Ladesystematik auch gegen Testende keinerlei Anzeichen von Schwäche. Typisch Toyota? Abwarten.
Denn ein Antriebskonzept allein macht noch kein ordentliches Auto. Im Alltag erwies sich der Prius als kapitale Spaßbremse. Jedenfalls für alle, die von einem Auto mehr erwarten als einen ökologisch korrekten Auftritt. Von "schwammigem Fahrverhalten", über "steife Federung" bis zur "eckigen, gefühllosen Lenkung" klatschten dem Zwei-Herzen-Japaner Negativ-Kommentare zu seinen Fahreigenschaften nur so um die Außenspiegel. Auch die diversen ultranervigen Piep-Warntöne oder die in der Windschutzscheibe spiegelnde Tacho-Einheit ließen das Autofahrerherz nicht gerade hüpfen.
Minuspunkte hagelte es ebenfalls für die schlechte Übersichtlichkeit, besonders nach hinten durch das kleine Behelfsfenster im unteren Teil der Heckklappe. Und für die Bedienung der Klimaanlage. Sie wird teilweise über die Tasten am Lenkrad betätigt. So wie 16 (!) andere Funktionen auch. "Mühsam" umschreibt Testredakteur Diether Rodatz diese Lösung. Hört sich netter an als gemeint.
Als langstreckentauglicher Begleiter oder als Familienfreund hatte Prius der II. ebenfalls schwache Momente. Mit dürftigen, elektronisch abgeregelten 170 km/h Spitze kann man heute angesichts der Verkehrsdichte ja noch leben. Mit dem dann angestrengt laut arbeitenden Motor aber nicht. Immerhin hilft die Geräuschkulisse, wach zu bleiben. Denn die Sitzposition ist auf Dauer ermüdend (auch weil eine Lenkrad-Tiefenverstellung fehlt) und die Polsterung der haltlos geformten Sitze zu weich. Eine Besonderheit des Hybridsystems kostet den Prius letztlich auch eine gute Note bei der Familienfreundlichkeit: Direkt neben dem üblicherweise rechts hinten montierten Kindersitz befindet sich eine Kühlung fächelnde Abluftöffnung der Nickelmetallhydrid-Batterie. Auch wenn dort nur wenig Luft herauskommt, bereitet das Eltern schon rein psychologisch deutliches Unbehagen.
Nichts ist unmöglich – auch nicht Rost an einem Toyota
Ein schlechtes Gefühl beschleicht uns auch, wenn wir an den Karosseriezustand unseres Testwagens denken. Bei der abschließenden Komplett-Zerlegung endeckten wir einen arg verrosteten Halter für die Heckklappen-Entriegelung. Ein fast neuer Toyota, der rostet – ja gibt’s das? Da sich die Korrosion des Blechwinkels bereits auf die darunterliegende Karosseriewand ausgebreitet hat, ist der Schritt zur Durchrostung programmiert. Es sei denn, der Mangel wird rechtzeitig entdeckt und behandelt. Dafür müsste man allerdings den Stoßfänger abnehmen. Und das gehört ja nicht gerade zum normalen Inspektionsumfang. An einem Karosseriefalz des Türschwellers nistet die braune Pest ebenfalls – noch nicht tragisch, aber doch ein bitterer Beigeschmack und garantiert keine Angelegenheit, die man "mit besserer Pflege hätte vermeiden können", wie Toyota uns weismachen wollte.
Kosten und Wertverlust
Selbst ein Rückruf blieb dem Prius nicht erspart. Bei einigen Modellen gab es Probleme an der Lenksäulenverbindung. Was bleibt also abzüglich der einwandfrei funktionierenden Hybridtechnik? Ein eher durchschnittliches Auto, bar jeglicher Emotionalität? Stimmt. Kann man so sehen und zur Tagesordnung übergehen. Und doch trifft diese banale Erkenntnis nicht wirklich den Kern und auch nicht die Bedeutung des Prius für unsere Auto-Zukunft. Technik-Freaks können sich durchaus vom Zusammenspiel der Systeme faszinieren lassen, sich an der sauberen Öko-Bilanz erwärmen und daraus ihren ganz persönlichen Fahrspaß ziehen. Wem es hauptsächlich ums Sparen und um geringen CO2-Ausstoß geht, übersieht durchschnittliche Fahrwerte und funktionale Schwächen gnädig.
Doch auch dieses grüne Feigenblatt sollte differenziert und ebenfalls emotionsfrei betrachtet werden. Denn der sauberen Bilanz aus dem
Fahrbetrieb steht der hohe Produktions- und Recyclingaufwand eines Hybridautos gegenüber. Trotzdem wollen wir ganz klar feststellen: Unterm Strich belastet ein Prius unsere Atmosphäre etwas weniger stark mit Kohlendioxyd als beispielsweise ein AvensisDiesel. Und beim Stickoxid liegt der Benziner uneinholbar vor allen Dieselmodellen vorn. Wer allerdings eher an Cent als an CO2 denkt, dürfte sich über die hohen Reifenpreise ärgern. Beim Sparauto sind steife, rollwiderstandsärmere V-Reifen vorgeschrieben. Die decken den Bereich bis 240 km/h ab. Zur Erinnerung: Der Prius wird bei 170 Sachen zwangsgestoppt. Was soll der Unfug?
Die Reifenpreise treiben die Gesamtkosten unnötig in die Höhe. Mit 15 Cent pro Kilometer – ohne Wertverlust – liegt der Prius ungefähr auf dem Niveau gleich starker Kompakter mit Benzinmotor – ist aber in der Anschaffung einige Tausend Euro teurer. Es wird also etwas dauern, die Kostendifferenz über den Verbrauch hereinzufahren. Der zuverlässige Hybridantrieb dürfte es überstehen. Möglicherweise.
Kommentar und Wertung
Kommentar von AUTO BILD-Testredakteur Jan Horn
Der Maßstab für normale, alltagstaugliche Autos lässt sich am Prius schwer anlegen. Einerseits gewinnt der Prius durch die konsequente Umsetzung seines Hybridkonzepts. Aerodynamik vor Übersicht oder Effizienz vor Höchstleistung sorgen für niedrigen Verbrauch und beste Abgaswerte. Kann man Toyota diesen Weg zum Vorwurf machen? Eher nicht, denn strategisch ist der Prius als Vorreiter in Sachen Umweltschutz gedacht. Praktische und günstigere Autos heißen bei Toyota Combi oder Verso. Ohnehin ist der Besitz eines Prius stets auch ein Statement. Eine klare Ansage gegen die uniformen, meist sogar faulen (Diesel-)Kompromisse der Konkurrenz.
Der wichtigste Aspekt lässt sich ohnehin nicht in Punkteschlüssel oder Zuverlässigkeitsranglisten fassen: der Glaube an eine zukunftweisende Innovation. Schließlich hat man dem Diesel auch zugestanden, sich über Jahre weiterzuentwickeln, vom Trecker-Aggregat zum Sportwagen-Antrieb. Dass der Hybrid sich auf dem richtigen Weg befindet, zeigen die spurtstarken Spaß-Hybriden der Toyota-Luxus-Tochter Lexus. Besonders der GS 450h funktioniert beinahe ohne Einschränkungen. Dem Prius sei Dank!
Zerlegt: die Prüfung von Herz und Nieren
Im DEKRA-Technology-Center in Klettwitz blickten wir dem Prius tief in die Eingeweide. Resultat: Die ebenso aufwendige wie kompakte Hybridtechnik zeigt sich makellos. Also alles bestens? Nicht ganz. Es gibt kleine Überraschungen. In der Klimaanlage findet sich nur noch ein Viertel der Kältemittelfüllung. Eingeschränkte Kühlleistung, schlimmstenfalls ein Kompressorschaden hätte den nächsten Sommer getrübt. An den Nockenwellenrädern sind Laufspuren der Kette feststellbar, ein Folgeschaden ist aber nicht zu befürchten. Erstaunlich: ein völlig vergammelter Blechhalter am Prius-Heck. Er trägt den Taster zur Heckklappenöffnung, der baldige Abfall des Elektrokontakts ist programmiert. Ebenso unfein: leichter Rostansatz unter der Dichtung im Rahmen der Fahrertür.