Ein Druck auf den magischen Knopf. Der Audi S1 erwacht. Es ertönt der vielleicht beste Motorsound aller Zeiten. Die Zutaten: Fünf Zylinder, ein Turbolader und ein armdickes Auspuffrohr. Gänsehaut! Doch das ist noch nicht alles. AUTO BILD fuhr im legendären Rallye-Audi mit.
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Alles begann mit einem Modellauto

Kniet nieder!
Mit einem größeren Lader sind bis zu 720 PS drin.
Während der S1 wärm läuft, bleiben noch einige Minuten, um das Flügel-Monster im Stand zu genießen. Brachial sieht er aus, der Sport Quattro mit seinen Zusatzscheinwerfern, den breiten Radhäusern und dem gigantischen Flügel am Heck. Kaum zu glauben, dass die Geschichte dieses Ungetüms vor knapp zehn Jahren mit einem winzigen Modellauto vom 1985er Werks-Audi begann. Denn mehr hielt der jetzige S1-Besitzer Volker Gehrt nicht in den Händen, als er über Umwege Ex-Audi Sport-Chef Roland Gumpert kennenlernte. Der war sofort ans verschollene Siegerauto der Rallye Sanremo 1985 von Röhrl und Geistdörfer erinnert als er das Modellauto auf Gehrts Schreibtisch sah. Dann kam eins zum anderen: Genau diesen S1 müsste man nachbauen, da waren sich die beiden Männer einig.

Sogar Walter Röhrl ist überzeugt

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Kurzer Sport-Audi unterm Hammer
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In dieses Lenkrad haben schon Rallye-Legenden wie Walter Röhrl und Stig Blomqvist gegriffen.
Eine fast unlösbare Aufgabe, schließlich sind die meisten der extrem raren Originalteile längst verbaut oder Ende der 80er im Rallyecross verheizt worden. Roland Gumpert kontaktierte seine alten Kollegen bei Audi, die sofort Feuer und Flamme für das Projekt "perfekter S1-Nachbau" waren. Und tatsächlich: In den Audi-Regalen fanden sich noch unbenutzte S1-Teile! Motor, Getriebe, Lader, Differenzial, das komplette Cockpit – alles original. Und was es nicht mehr gab, wurde nachproduziert: Ein Spezialbetrieb aus Pfaffenhofen kramte beispielweise die Produktionsformen für die Kevlar-Motorhaube aus dem Archiv und nahm die Produktion wieder auf. Die Rohkarosse entstand – wie damals bei Audi selbst – aus einem Urquattro und der A-Säule eines Audi 80. 32 Zentimeter kürzer als der Urquattro. Das Ergebnis ist schlichtweg perfekt. Sogar Walter Röhrl bestätigte Volker Gehrt, dass dessen S1 sich exakt so anfühlt wie das ehemalige Siegerauto der Rallye Sanremo 1985. Das ultimative Gütesiegel.

Ein Fest für die Sinne

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Das Originalfahrzeug von 1985 ist vermutlich irgendwo in Norwegen beim Rallyecross verschollen.
Mittlerweile ist der Motor warm. Volker Gehrt springt in den S1 und setzt sich auf den an Walter Röhrl angepassten Fahrersitz. Auf der Beifahrerseite herrscht noch Rätselraten: Wie geht die Tür auf? "Das Türschloss drücken, der Mechanismus ist aus dem Käfer!" tönt es aus dem Inneren. Offenbar kennt Gehrt die ratlosen Blicke seiner Beifahrer schon. Drinnen ist der S1 spartanisch. Der Beifahrer stemmt sich gegen eine gelochte Fußstütze und blickt auf den digitalen Tripmaster und seine eigene Tankanzeige. Gehrt fährt los. Die Geräuschkulisse hat nichts mit einem normalen Auto zu tun. Kleine Steinchen knistern im Radkasten, die Mechanik arbeitet gut hörbar – Dämmmaterial ist nicht vorhanden. Zu schwer. Ein kurzes gerades Stück Asphalt und Gehrt lädt durch: Erster, Zweiter, Dritter, Vierter. Der Schub überfällt die Insassen in jeder Fahrstufe mit der gleichen Gewalt. Mit sicherer Hand dirigiert Gehrt den Schaltstock durch die Gassen. Das Dogring-Getriebe ohne Synchronringe fordert beherztes Zupacken, bei gleichzeitiger Präzision. Und dazu das Schreien des mächtigen Fünfzylinders, das Abblasen des überschüssigen Ladedrucks beim Gaswegnehmen. Ein Fest für die Sinne! Beim Wenden auf einem welligen Hinterhof merkt man auch vom Beifahrersitz aus, wie verwindungssteif die Karosserie des S1 ist.
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Mächtige Kotflügelverbreiterungen verleihen dem S1 seine einzigartige Optik.
Nur so kann das eigens auf den Rallye-Audi abgestimmte KW-Fahrwerk optimal arbeiten. Das ist übrigens eines der wenigen Teile, die nicht original sind. Aus einem einfachen Grund: Den Hersteller der Original-Federbeine (Boge) gibt's nicht mehr. Auch bei der Bremsanlage musste Gehrt auf neuzeitliches Material zurückgreifen. Eine AP Racing-Anlage in den zeitgenössischen Dimensionen kämpft erfolgreich gegen den Turbomotor an. Ein letztes Mal scheucht Gehrt das Fünfzylinder-Biest, ein letztes Mal katapultiert der S1 uns vorwärts. Als das Dauergrinsen langsam aus dem Gesicht weicht und der Adrenalinpegel wieder Normalmaß erreicht, lacht Gehrt: "Wenn ich 1985 gewusst hätte, dass ich dieses Auto fahren werde, hätte ich's als so wahrscheinlich eingeschätzt wie einen Marsianer zu sehen." Ähnlich unwahrscheinlich ist es, dass irgendjemand noch einen Audi S1 so akribisch reproduziert. Ohne die Mithilfe der ehemaligen Audi-Kontakte, den Fahrerlegenden Walter Röhrl und Stig Blomqvist und aller anderen Beteiligten ist es schlicht aussichtslos, diesen Grad der Originalität zu reproduzieren. Genau deshalb ist der Gehrt-S1 nicht mit Geld aufzuwiegen – und unverkäuflich ist er sowieso.
Peter Fischer
Eigentlich müsste man sich zweiteilen: Drinnensitzen für den enormen Schub des S1 und gleichzeitig draußen für den voluminösen Sound. Volker Gehrt ist zusammen mit seinen Mitstreitern ein Meisterwerk gelungen. Im Grunde ist dieses Rallye-Ungetüm kein Nachbau, sondern der letzte mit Werksunterstützung aufgebaute S1 E2.