Kosten und Ausstattungen

Der Name klingt gut: Brilliance! Weckt aber auch Erwartungen. Brillant sein, glänzend, wie ein geschliffener Diamant. Auch die Marketingfloskeln von Brilliance-Importeur HSO tönen selbstbewusst: "Der BS 6 bietet viel Auto für wenig Geld. Er ist ein Individualist, ohne abseits zu stehen; kein Massen-, sondern ein Qualitätsprodukt", trommelt Geschäftsführer Hans-Ulrich Sachs. Sogar von der "Spitze in der oberen Mittelklasse" ist da die Rede.

Das sind gewaltige Ankündigungen. Wichtige Antworten zum ersten offiziellen China-Importwagen in Deutschland lieferte der erste Fahrbericht. Trotzdem bleiben Fragezeichen: Ist der Brilliance sein Geld wert? Bietet er ausreichend Sicherheit? Erreicht er annehmbare Qualität? Und am wichtigsten: Wie schlägt er sich dabei im Vergleich mit zwei seiner wichtigsten Konkurrenten? Für diese Standortbestimmung muss der Neuling sich neben dem ambitionierten Kia Magentis auch dem etablierten VW Passat stellen.

Rund 23.000 Euro – günstig ist das nicht!

Zuckerl: Brilliance lockt mit einer umfangreichen Serienausstattung.
China gegen Korea gegen Deutschland, aufstrebendes Asien trifft auf den Traditionalisten aus Deutschland. Ein hochspannender Dreikampf in drei Disziplinen. Preis und Ausstattung: Rund 23.000 Euro kostet die Topversion des BS 6 mit 2,4-Liter-Motor. Das ist nicht billig, und deshalb umgarnt Brilliance potenzielle Kunden auch mit einer umfangreichen Serienausstattung. Dazu gehören Lederbezüge (im Plastik-Look), Klimaautomatik, Sechsfach-CD-Wechsler, elektrische Fensterheber und ein elektrisches Schiebedach, Einparkhilfe, Metallic sowie Aluräder. Noch Wünsche? Sitzheizung oder Navigationssystem? Vergiss es! Eine Aufpreisliste gibt es so wenig wie einen Diesel.

Kostenkiller kaufen Koreaner

Der Passat bietet tolle Qualität, die Ausstattung ist aber mager.
Damit ist der 130-PS-Chinese quasi das Gegenteil vom Passat. Beim VW kostet fast alles extra. Schon in magerer Trendline-Version liegt der 115 PS starke 1.6 FSI 600 Euro über dem Brilliance. Um auf ein vergleichbares Ausstattungsniveau zu kommen, zahlt der VW-Käufer noch mal 6450 Euro drauf. Und bekommt doch nur einen 1,6-Liter. Ein starkes Argument für die China-Limousine? Von wegen: Kostenkiller kaufen Koreaner. Der Preismeister heißt Kia. In üppiger EX-Ausstattung kostet der Magentis 2.0 mit 144 PS 21.900 Euro. Heißt: Er ist 1100 Euro billiger, dafür 14 PS stärker und mit Verwöhnelementen wie elektrischen Sitzen, Sitzheizung, Bordcomputer und Heckklappen-Fernentriegelung ausgerüstet. Nur Metalliclackierung (400 Euro) und Leder (nicht bestellbar) fehlen.

Der BS 6 ist eine stattliche Stufenheck-Limousine (Länge: 4,88 Meter) und damit nicht in einem Trendsegment angesiedelt. Immerhin: Das Design stammt von Giugiaro, sein Stil setzt sich weder Plagiatvorwürfen aus, noch versucht er durch Schnörkeleien zu beeindrucken. Im Gegenteil: Der chromgerahmte Grill, die großen Scheinwerfer sowie das sauber gezeichnete Heck können sich neben dem biederen Kia und dem modernen VW sehen lassen.

Der China-Import ist weit weg vom aktuellen Stand der Technik

Beim Platzangebot – hinten wie vorn – kann der Brilliance mithalten.
Auch beim Platzangebot kann er mithalten. Vorn wie hinten gibt es reichlich Bewegungsfreiheit. Die Sitzposition für große Fahrer ist aber zu hoch. Erschwerend kommt hinzu, dass das Lenkrad nur in der Höhe verstellbar ist. Sicherheit: ein dunkles Kapitel für den Brilliance, ein ganz dunkles sogar. Nur zwei Airbags (Kia und VW haben je sechs), kein ESP lieferbar (Serie bei VW und Kia) sowie fehlende Dynamik-Kopfstützen beweisen, dass der China-Import weit weg ist vom aktuellen Stand der Technik. Dass der Mittelplatz auf der Rückbank nur mit Beckengurt ausgerüstet ist, degradiert die Limousine nach deutscher Gesetzeslage vom Fünf- zum Viersitzer. Bis zum Verkaufsstart will Brilliance für eine Sondergenehmigung sorgen. Auch ein inoffizieller Crashversuch beim TÜV belegt Nachholbedarf: Beim Euro-NCAP-Test würde er derzeit nur zwei Sterne erhalten. Der Passat hat fünf!

Fahrzeugdaten und Messwerte

BMW, Porsche, Dürr, ZF – diese und andere deutsche Firmen nennt Brilliance als Entwicklungspartner. Dazu Qualitätsweltmeister Toyota und Motorenlieferant Mitsubishi. Die Werbe-Botschaft: Im Brilliance steckt Hightech, die Qualität ist hoch. Das stimmt allerdings nur auf den ersten Blick. Vor allem der Metalliclack macht einen guten Eindruck. Kein Wunder: Schließlich soll der BS 6 in der gleichen Halle lackiert werden, in der auch die 3er- und 5er-BMW aus chinesischer Fertigung ihre Farbe bekommen.

Doch je intensiver wir in und unter den BS 6 blicken, desto mehr entpuppt er sich als Blender. Qualität: außen hui, innen pfui. Nach dem Einsteigen nervt penetranter Chemiegeruch. Große Spaltmaße, scharfkantiges Hartplastik, nachlässig verklebte Abdeckungen und besonders das schlampig verarbeitete Billigleder zeigen, wie weit der hohe Anspruch und die ernüchternde Wirklichkeit noch auseinanderliegen. Der Magentis ist eine Klasse besser, der Passat sogar zwei.

Weder Beschleunigung, Elastizität oder Verbrauch überzeugen

Fahrgefühl und -leistungen sind genau wie die Sicherheit nicht zeitgemäß.
Gleiches gilt für die Fahrleistungen. Im Brilliance arbeitet ein veralteter Mitsubishi-Vierzylinder, der weder bei Beschleunigung und Elastizität noch im Verbrauch überzeugt. Der Magentis ist stärker, schneller und sparsamer; der VW schwächer, in der Spitze schneller und dazu sparsamer. Viel deutlicher kann das Votum gegen den Brilliance in diesem Trio nicht ausfallen.

Auch beim Fahrgefühl wendet sich nahezu alles gegen ihn. Laut und rau dreht der 2,4-Liter hoch. Motorvibrationen übertragen sich in Kupplungspedal und Lenkrad. Beides wirkt vergleichsweise schwergängig, das ganze Auto dadurch ungelenk. Bei voller Beschleunigung verschluckt er sich schon mal und ruckelt. Die hakelige Schaltung und der glitschige Schaltknauf verderben den Spaß am Schalten zusätzlich. Entspanntes Gleiten dagegen funktioniert gut. Im dritten und vierten Gang zieht der Motor kräftig durch, Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn schont die Nerven. Darüber wird es laut. Starke Abroll- und Windgeräusche sind jedenfalls stets präsent. Bei Magentis und Passat wirkt all das erheblich kultivierter.

Elastisch, sportlich, handlich und komfortabel: Passat

Trotz seines viel kleineren Hubraums ist der VW elastischer als der China-Import. Sportlich abgestimmt, glänzt er mit seiner präzisen Lenkung, reichlich Rückmeldung und beeindruckender Handlichkeit. Da kann der Kia nicht mithalten. Er ist ein sturer Untersteuerer, deshalb sehr sicher, sodass sein Serien-ESP selten eingreifen muss. Leider bleibt durch diese Auslegung die Handlichkeit auf der Strecke. Bei schnellen Richtungswechseln wirkt die Lenkung träge und verhärtet.
Preisknüller: Der Kia Magentis ist stark, günstig und hervorragend ausgestattet.
Die Stärke des Magentis ist sein hoher Komfort. Über schlechte Straßen gleitet er souverän und poltert nur leicht mit den Achsen. Ansonsten verwöhnt er seine Insassen mit der tollen Ausstattung und guter Bedienbarkeit. Hier ist alles am richtigen Ort. Zumindest in diesem Punkt ist der Chinese fast konkurrenzfähig. In seinem Cockpit glänzt zwar überall billiges Plastik, doch die meisten Schalter sind groß und gut erreichbar. Mit Ausnahme der Fenstertasten. Sie liegen so weit hinten in der Tür, dass sich die linke Hand krampfhaft krümmen muss, um sie zu drücken. Über einen Einklemmschutz (im Kia und VW Standard) verfügen die Scheiben nicht.

Klimaanlage und Wischer arbeiten eigenwillig

Die Wischer arbeiten standesgemäß mit zwei Geschwindigkeiten plus regelbarer Intervallschaltung. In dieser Stellung wird jeder Wischvorgang von einem "Klick-Klack" begleitet. Ja, hier abeitet noch ein mechanisches Relais statt lautlos-vornehmer Halbleiter wie in Kia und Volkswagen. Da hilft nur Radio lauter machen. Oder hoffen. Hoffen, dass es stärker regnet oder ganz auffhört. Auf gutes Wetter hoffen muss man auch bei der Klimaautomatik. Im Testwagen spendete sie nur in höchster Heizstufe Wärme. Dann aber volle Pulle; alle anderen Einstellungen ließen die Insassen frösteln. Die Wahl zwischen Eiskeller oder Sauna hat den Namen Klimaautomatik nicht verdient.

Kommentar und Wertung

Kein Zweifel: Im Brilliance steckt Technik anno 1995. Das ist nichts Schlimmes. Wenn der Preis stimmt. Aber mit rund 23.000 Euro ist der BS 6 in der sogenannten Deluxe-Ausstattung einfach zu teuer. Schade eigentlich, der Importeur verpasst hier möglicherweise eine Chance. Denn Klischee, Schubladendenken und Vorurteile sind dem ersten Chinamodell fremd. Es ist imagefrei. Noch zumindest. In jetziger Form aber kann es einem Kia Magentis nicht gefährlich werden. Und dem Passat erst recht nicht das Wasser reichen. Der Koreaner bietet erheblich mehr Auto fürs Geld. Vom Deutschen trennen den Chinesen buchstäblich Welten.

Kommentar von AUTO BILD-Testredakteur Jörg Maltzan

Klipp und klar: Der Brilliance BS 6 2.4, der erste offizielle China-Importwagen, ist ein Blender. Von außen ansehnlich, fällt die Fassade bei genauer Betrachtung in sich zusammen. Für zirka 23.000 Euro liefert dieses Auto nicht die versprochene Qualität, Sicherheit und Leistung. Der vollmundige Werbeslogan der Chinesen "Expect more" – erwarte mehr – geht nach hinten los.

Wenn schon Brilliance, dann bitte schön das Zweiliter-Basismodell (122 PS) für zirka 19.000 Euro kaufen. Und: fahren, fahren, fahren. Denn ein lukrativer Wiederverkauf ist so wahrscheinlich wie ein Ferrari zum Schnäppchenpreis. Gegen den VW Passat hat der Chinese nicht den Hauch einer Chance. Richtig entzaubert wird er aber durch den Kia Magentis. Der Koreaner bietet genau das, was die Chinesen versprechen: viel Auto fürs Geld.