Wenn das kein perfektes Timing ist: Noch bevor der oberste Audianer Rupert Stadler im fernen Peking stolz den neuen Q5 auf der chinesischen Automesse enthüllt, sitzt AUTO BILD sechs Zeitzonen weiter westlich schon drin. Schauplatz ist ein Fotostudio am Rande von Ingolstadt. Einen Steinwurf entfernt wird er gebaut, hier sieht man ihn ab sofort auch ohne Tarnung fahren – und hier lässt sich das schicke Audi-SUV viel besser beurteilen als auf einer wuseligen Ausstellung am anderen Ende der Welt. Und nicht nur das: Der Q5 muss sich gleich dem Duell mit seinem Konzernbruder aus Wolfsburg stellen. Das ist der VW Tiguan. Er schaffte es aus dem Stand zum Bestseller im wachstumsstarken Segment der kompakten SUV. Und ist so der ideale Prüfungspartner.

Auch das kleine SUV trägt das unverkennbare Audi-Gesicht

Der Q5 ist ein typischer Audi geworden. Vorn trägt er den großen Gittergrill. Auch Heck und Seitenlinie zeigen die Handschrift von Chefdesigner Walter daSilva, der sich mit dem Q5 als Abschlussarbeit nach Wolfsburg verabschiedete. Dort hätte er sicherlich gern sofort den Tiguan verfeinert. Doch der war fertig – und so rollte der VW aus Kritikersicht als eine Art Golf Plus mit höhergelegter Karosserie auf die Straße. Im direkten Vergleich mit dem Q5 sieht der Tiguan brav aus. Zu brav? Rein optisch jedenfalls ist die Kannibalisierungsgefahr gleich null. Für Audis Marketingmanager gehört der Q5 (4,63 Meter Länge) zur Mittelklasse und nicht zu den Kompakt-SUV wie der Tiguan (4,43 Meter). "Er ist länger und breiter, aber flacher als seine Konkurrenten", erklärt Audi-Produktreferent Dominik Gaß das Q5-Geheimnis. In der Tat wirkt er überraschend gedrungen. Kurze Überhänge vorn und hinten sorgen für eine sportliche Erscheinung. Verstärkt wird dieser Eindruck, wenn der Q5 wie das Fotomodell als V6-TDI mit S-Line-Paket und 20-Zoll-Rädern vorfährt. Ganz klar: Er zielt in Richtung BMW X3, Mercedes GLK und Volvo XC60. Wer will sich da mit der Vierzylinder-Verwandtschaft aus Norddeutschland beschäftigen?

Beim Preis liegt der neue Q5 ganz klar im Premium-Segment

Audi Q5
Trotzdem drängt sich der Vergleich auf. Schließlich stehen die Kunden vor einer schwierigen Wahl: Premium-SUV mit Schaulauf-Garantie zum Besserverdiener-Preis – oder volksnaher Konzern-Kollege für fast 7000 Euro weniger? So viel liegt nämlich zwischen den beiden, wenn man sich für die Modelle mit identischem 170-PS-Dieselmotor interessiert. 7000 Euro! Eine Menge Holz. Fest steht: Der neue Audi ist ein gelungenes SUV. Er bietet nicht nur deutlich mehr Prestige als der VW, sondern auch die feinere Technik. Reicht in der Kompaktabteilung des VW-Konzerns eine kleine Rundum-Kur, um den Golf zum A3 aufzupeppen, geht der Q5 erheblich weiter. Hier genügt es nicht, den Tiguan zum Verwöhn-SUV aufzurüschen. Nein – der Allradler aus Ingolstadt ist ein völlig eigenständiger Audi. Technisch und gestalterisch ist er dem entrückten Q7 näher als dem Marktführer aus Wolfsburg. Formal ist der Q5 ein höhergelegter A4 Avant mit Verwöhn-Aroma. Der Einstieg fällt erheblich leichter als in Limousine oder Kombi. Klar, das liegt an der hohen Sitzposition. Hinterm Lenkrad angekommen, könnte es sich aber auch ums A4-Cockpit handeln. Instrumente, Lenkrad, Schalter, Knöpfe – fast alles ist identisch. Warum was ändern? Schließlich gehört der Innenraum zum Besten, was es zurzeit gibt.
Auch im Fond vermittelt der Q5 das typische Audi-Gefühl: hohe Fensterlinie, bequeme Sitze, hochwertige Materialien, genügend Platz für Kopf, Beine und Füße. Gegen Aufpreis macht sich der Beifahrersitz klein und erlaubt den Transport sehr langer Gegenstände. Dazu bietet Audi die "Rückbank plus". Diese ist um zehn Zentimeter verschiebbar, und die Lehnen variieren ihre Neigung. Das kennen wir doch: Richtig, so eine Sitzanlage hat auch der VW. Sie rutscht sogar um 16 Zentimeter vor oder zurück. Und zwar serienmäßig – Vorteil Tiguan. Der Blick auf seinen Armaturenträger ist weniger erbaulich. Ganz Golf Plus halt: nicht schlecht, aber auch nicht schön. Das Cockpit verströmt den sachlichen Charme einer Schrankwand. Das wirkt gespart, sieht nach Economy-Klasse aus, während der Q5 als echter Business-Express beeindruckt. Auch beim Antrieb trennen die Brüder Welten. Der Tiguan hat als Golf-Derivat natürlich Quermotor. Im Normalfall landen nur zehn Prozent der Vortriebskraft über eine Haldexkupplung an der Hinterachse. Heißt: Der Tiguan fährt ähnlich wie ein Fronttriebler mit spürbarer Untersteuertendenz. Erst auf rutschigem Untergrund schickt das 4Motion-System Drehmoment nach hinten und verbessert die Traktion.

Für Ausflüge ins leichte Gelände gibt es den Tiguan "Track & Field"

VW Tiguan
Anders der Audi: Er hat wie der A4 ein Längstriebwerk und ist heckbetont ausgelegt. Für die Kraftverteilung sorgt Audi-typisch ein Torsen-Differenzial. Auf griffigem Untergrund liegen 60 Prozent des Drehmoments an der Hinterachse an. Damit lässt der Q5 ein neutrales und sportliches Fahrverhalten erwarten. Im Gelände oder auf Schnee leitet das Torsen-Differenzial die Kraft variabel an jene Achse, die die bessere Traktion aufbaut. Dennoch ist der Q5 eher Crossover als echter Geländewagen. Ein spezielles Offroad-Programm mit Untersetzungsgetriebe und Sperren bietet Audi nicht. Wie der Tiguan. VW geht in Sachen Gelände aber einen Schritt weiter und bietet in der "Track-&-Field"-Ausstattung mehr Böschungswinkel und eine Offroad-Taste, die Geländefahrten sicherer macht. Audis Aufpreisliste ist lang. Ellenlang sogar. Neben bekannten Helfern wie Side Assist, Lane Assist, Berganfahrhilfe und adaptivem Tempomat ist für den Q5 erstmals bei Audi ein Fernlichtassistent bestellbar. Der blendet bei Gegenverkehr automatisch ab – schöne Idee. Außerdem gibt es ein verfeinertes MMI sowie ein Hi-Fi-System mit Videofunktion, gleich zwei SD-Kartenschlitzen und 40-Gigabyte-Festplattenspeicher.

Da kann der VW nicht mithalten. Doch auch für den Tiguan gibt es reichlich Extras wie Rückfahrkamera, Offroad-Navigation, Anhängerstabilisierung und ein Panorama-Schiebedach. Außerdem steht in seiner Optionsliste der Einpark-Automat (675 Euro), der das SUV automatisch in Parklücken einfädelt – ein tolles System. Der günstigste Q5 (2.0 TDI) liegt mit circa 38.000 Euro rund 11.000 Euro über dem billigsten Tiguan (1.4 TSI, 26.700 Euro). Das ist wie Champions League gegen Bundesliga. Sollte der eine oder andere Tiguan-Interessent zum Q5 überlaufen, ist das kein Problem. Im Gegenteil: Audi-Chef Stadler freut's – und seinen VW-Vorgesetzten Winterkorn auch. So kommt noch mehr Geld ins Haus. Und der Wettbewerb hat das Nachsehen.

Das Fazit von AUTO BILD-Redakteur Jörg Maltzan

Q5 und Tiguan – Marketingmenschen nennen das eine "Win-Win-Situation". Preislich und stilistisch wenden sie sich an unterschiedliche Kundenkreise. Der VW ist bereits ein Hit, und der Audi wird auch einer. Ganz sicher. A4/A6-Kunden mit Lust auf Neues werden ihm kaum widerstehen. GLK und X3 bekommen einen (über)mächtigen Gegner. Unangenehm wird es für Audi, sollte der kleinere Q5 auch dem erfolgreichen Q7 Kunden abjagen. Und auch das wird sicher der Fall sein.